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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Die Graphik - Bedarfskunst oder Spielerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0095

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Die Graphik — Bedarfsknnst oder Spielerei ?

der Entwickelungsgesetze ausgestaltet hat, eine fest-
umrissene Stellung zu erwerben, in einer Art zu
produzieren, die dem Leben zu gute kommt. Ver-
wendbarkeit im realen Leben fordert unsere Zeit
von jeder Aunst und sie gibt als Lohn für diese
Dienstbarkeit den Aünsten die Aköglichkeit immer
weiterer, immer freierer Entfaltung. Dies sei im
folgenden am Beispiel der graphischen Aünste erläutert.

Noch ist aber heute der Zeitcharakter nicht so
ausgeprägt, daß es nicht im-
merhin noch möglich wäre,
irgend eine Form künstlerischer
Bethätigung den: Leben, der
Aulturdienstbarkeit zu entziehen.

Noch kann heute allenthalbei:
mehr l’art pour l’art getrieben
werden, als denen lieb ist, die
schon von der nächsten Zukunft
ein immer inniger werden-
des Zneinanderverwachsen von
Aunst und Leben wünschen.

Noch ist es möglich, die Graphik,
diese Bedarsskunst /mt e^oyrv
im Sinne einer Luxuskunst zu
betreiben und sie damit um
ihre große Entwickelungsfähig-
keit zu bringen. Ehe wir näher
hieraus eingehen, glauben wir
in kurzen Worten die Wege
aufzeigen zu müssen, die eine
rationelle, modern ausgesaßte
Graphik mitten ins neuzeitliche
Leben hineinführen.

Graphisch-künstlerische Er
Zeugnisse gehören in hervor-
ragendem Akaße zu den all-
täglichen Bedürfnisseir unserer
Zeit, sie sind geradezu bedingt
von deren bsauptbedürfnis, dem
Bedürfnis nach Reklame.

Dies letztere aus der Welt streiten zu wollen,
hieße Thatsachen leugnen und der Aunst eine Ver-
bindung mit der Reklame aus ästhetischen Gründen
versagen wollen, wäre höchste Aurzsichtigkeit.

Das ganze Riesengebiet der Reklame ist aller-
dings heute in den fänden von künstlerischen Stüm-
pern, aber dies beweist nichts gegen die Wöglichkeit,
daß sich der moderne Graphiker in kurzem dieses Ge-
bietes bemächtigen kann. Anzeichen für diesen Ent
wickelungsverlauf sind bereits reichlich vorhanden.
Zmmer gesuchter wird das moderne Aünstlerplakat,
immer mehr nimmt jede Art Reklame künstlerische,
moderne Formen an ui:d es ist nur i:och eine Frage

der Zeit, daß ein tüchtiger Nachwuchs von jungen
Begabungen den handwerksmäßigen Pfuscher aus
diesem Gebiete verdrängen wird, um dadurch aus

der graphischen Gewerbebranche einen Zweig des
modernen Aunstgewerbes zu machen. Diesen Weg
der Entwickelung, den wir im praktischen Leben
schon allenthalben vorgezeichnet finden, kann die
moderne Graphik jedoch nur dann gehen, wenn sie
sich in jeder Weise, in der Wahl ihrer künstlerischen

Ausdrucksmittel, wie in der

Wahl ihrer technischen Ver-
fahren den Erfordernissen des
Lebens anpaßt, wenn sie es

vermeidet, zur Luxuskunst zu
werden und Raubbau mit ihrem
augenblicklichen Liebhaberwerte
zu treiben.

Ein Graphiker, dessen
Schaffen nur Liebhaberwert
anstrebt, sollte eingedenk sein,
eii: wie hinfälliger, von der
Wodelaune bedingter Wert dies
ist, daß auch die künstlerischeste
Leistung, in einer Form ge-
boten, die niemandem Bedürf-
nis ist, ihre bleibende Möglich-
keit zu wirken verliert, um
dafür besten Falles in den
Wappen der Aabinette zu ver-
stauben und vergessen zu wer-
den. Nur in ständigem Aon-
takte mit dem realen Leben
und seinen Bedürfnissen vermag
eine moderne Aunst sich für
die Nachwelt zu erhalten, indem
sie sich zugleich mit den Wand-
lungen der Lebensbedürfnisse
selbst stetig weiterentwickelt.

Die Bedarfsgraphik hat vor
allem mit der technischen Ver-
wendbarkeit ihrer Erzeugnisse, was bereit Verviel-
fältigung durch die Presse anlangt, zu rechnen. Für
sie kommt kein Verfahren in Betracht, das, kost-
spielig und langsam, künstlerische Wirkungen nur
unter ganz bestimmten Voraussetzungen hergibt, wie
dies bei vielen jetzt besonders in Frankreich aktuellen
graphischen Spielereien der Fall ist. Wir erinnern
nur an farbige Radierungen von der Art, wie sie
bei der ersten diesjährigen Radiervereins-Ausstellung
im kleinen Saale des Aunstgewerbehauses zu sehen
waren, perrn Delatre, dem bekannten Spezialisten
für Aünstlerdrucke, gebühren für diese Arbeiten hohe
Lobeserhebungen. Sie sind mit erstaunlicher Ge-

(32. Fein - Fayence in Sgraffito-Technik
aus der Faz»encefabrik von Gustafsberg,
Schweden.
 
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