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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Ebe, Gustav: Neubildungen im Bereiche der Baugliederungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0271

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Neubildungen im Bereiche der Baugliederungeu.

43; u. 432. Becher aus vergoldetem Silber von Ernst Riegel,
München. (2/s der wirkl. Gr.)

der Wahrheit aufrecht erscheinende Architektur in die
blaue Stuft und bevölkert den neugeschaffenen per-
spektivischen Raum durch eine Schar von Figuren in
kühnen Verkürzungen und Unteransichten.

Das Rokoko hält in der Deckenmalerei, wo diese
zur Anwendung kommt, an der perspektivischen Raum-
malerei fest, nimmt aber in der Behandlung der
Stuckdekoration einen ganz von der früheren Art ab-
weichenden Weg. Die Decke wird durch eine große Aehle
unmittelbar und meist unter Fortfall des Deckenge-
simses mit den Wänden verbunden, und der sehr
flach gehaltene, stets durch Färbung und Vergoldung
vom Grunde abgehobene Deckenstuck stellt mit Vor-
liebe das leichte Gitterwerk einer Laube vor.

Die Richtung der Moderne ist nun allen von
den früheren Perioden gebotenen Aunstmitteln zur
Ausbildung der Flachdecken absichtlich aus dem
Wege gegangen, ohne jedoch etwas neues posi-
tives an die Stelle des Alten zu setzen; sie hat sich

43l.

vielmehr mit der Negation begnügt und die Decken
meist leer gelassen. Beispielsweise sind in den
meisten englischen Bauten die Decken gelegentlich mit
verstreuten Blumen bemalt, welche ein einfarbiges
Oval einschließen oder sie sind sogar einfach mit
einer Papiertapete beklebt. Den künstlerischen Aus-
druck der Decke kann das Fehlen jeder Gliederung
nicht bewirken, doch ist die vollzogene Befreiung von
dem oft sinnlos gewordenen, erdrückenden Schwulst
der barocken Stuckdekoration immerhin als wohltätig
anzuerkennen. Übrigens gehören die Leistungen der
neuen Richtung wesentlich dem Wohnhausbau oder
minder bedeutenden öffentlichen Gebäuden an; für
Monumentalgebäude höherer Ordnung sind noch keine
neuen Deckenformen gefunden.

-i- *

Wie aus obigem erhellt, finden sich auf dem Ge-
biete der Baugliederungen und der dekorativen Aus-
stattung der Fnnenräume hinreichende Anknüpfungs-
pnnkte für eine Fortbildung des Alten im modernen
Sinne, die jedenfalls von dem Schaffen der Jetztzeit
wieder ausgenommen werden müssen, wenn die neue
Richtung nicht zu einer flüchtigen Modeerscheinung
herabsinken soll. Zwischen den Bestrebungen der
historischen Schule, die in ihrer leblosen Ausartung
wohl spottweise als „Ruinenkultus" bezeichnet wird,
und der jede Tradition ablehnenden, aber auch
das natürliche Schönheitsempfinden vernachlässigenden
Originalitätssucht der neuen Richtung muß eine Brücke
geschlagen werden. Für das Auffinden einer gesnden
Mittellinie zwischen den stilistischen Gegensätzen und
zur Förderung wahrhaft organischer Neubildungen
aus architektonischen: Gebiet kommen wohl in erster
Linie die Baugliederungen in Betracht, aber die
Grundlage aller Aunstentwickelung neuer Art bildet
heute noch, wie am Anfänge jeder nationalen Aunst-
periode, die im Aunsthandwerk tätige erfinderische
Araft. Gustav Tbe.

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