Architektur und Uleidung.
Wendungen sind. Das Giebelornament des modernen
Miethauses, die Majolikavase des Salons, das
Schleifenwerk eines Damenhutes, die hochelegante
Arawatte: das sind so die richtigen Phrasen der
Aunstsprache. Wie „schäbig" diese Eleganz ist, merkt
man meistens gar nicht.
Sind dies eigene, sozusagen ausgezeichnete Phrasen,
so gleicht das, was wir gewöhnlich auf dem Leibe
tragen, dem gewöhnlichen Fluß der Rede des Plau-
derers. Wie da die üblichen Sätze über Wetter und
Theater, über Geschäfte und Zeitungshistorie heraus-
sprudeln, bei Herrn Müller nicht viel anders als bei
Fräulein Schultze: so schwätzen wir auch in Gestalt
unserer Aleidungsstücke das allgemeine Geschwätz
weiter. Es sind konventionelle Formen, um nicht
zu sagen: konfektionelle Formen. Zn den Aonzerten
wird meistens ebenso Musik gemacht; da kommen
die Töne ebenso hübsch gleichmäßig nacheinander
heraus, wie man über die Gegenstände des Alltags-
interesses redet, und wie man in seinen Anzug
schlüpft, den man neulich dort gekauft hat, wo die
Vettern und Basen ebenfalls einen solchen kaufen.
Es ist beinahe ein Wunder, daß nicht schon
längst allgemein an Stelle einer den Aörperbau aus-
sprechenden Aleidung mit ihren Gelegenheiten der
Variationen in Zeichnung und Farbe ein ganz ein-
förmiger und einfarbiger, am bequemsten ein grauer
Sack eingeführt worden ist, den man nur eben mög-
lichst bequem über den Aörper zu ziehen hätte. Also
ein abgekürztes Verfahren, wie man es im Bauwesen
an den Häuserwürfeln mit einer bestimmten Zahl
von Stockwerken und Fenstern und mit einem gleich-
förmigen Anstrich bereits hat; oder wie Statuen
eines berühmten Mannes nach einem möglichst ein-
fachen Modell zu Tausenden verbreitet werden. Die
Geschichte mit dem Sack darf man nicht allzu komisch
nehmen. Sack bedeutet hier: Aleid ohne jegliche
Metrik und Rhythmik, ohne Hauptlinien und Neben-
linien, ohne tragende und getragene Bestandteile,
ohne Aern und Füllung, ohne Wesentliches und Un-
wesentliches, ohne Licht und Schatten, ohne Schweres
und Leichtes, ohne Akzent und Tonschwäche. Also
mit einem Worte das, was das Gewöhnliche in
jeder künstlerischen Produktion und Reproduktion ist;
das, was wir hören, wenn die Tochter des Kaufes
Alavier spielt, und was wir sehen, wenn wir die
Blicke über die Fassaden einer Straßenseite und dann
wiederum über die der nächsten Straßenseite gleiten
lassen.
Wenn etwas so recht geeignet ist, uns ein Natur-
muster zu geben, an dem wir sehen können, wie das
alles nicht so sein soll, so ist es der menschliche
Aörper, die vielleicht reichste Vereinigung von Metrik
w.
S)as wirtschaftliche
5(3. Kopfleiste aus der Lhronik der Stadt Stuttgart,
von Gg. kfalm Huber, Stuttgart.
und Rhythmik, von Hauptlinien und Nebenlinien, von
Tragendem und Getragenem, von Schwer und Leicht,
von Zusammenziehung und Ausdehnung, ja vielleicht
von allem, was zum Bau der großen Welt, des
„Aosmos", gehört. Über dessen Nachbildung in einer
kleinen Welt, tu einem „Mikrokosmos", kommen
wir, so oder so, bei allen unseren Aunstleistungen
nicht hinaus. Bleiben wir hinter einem solchen Nach-
bilden zurück, so ist's um uitsere Aunst geschehen.
Zn drei Dimensionen baut sich alle Architektur und
die meiste dekorative oder angewandte oder gewerb-
liche Aunst auf; den drei Dimensionen muß physisch
gerecht werden, was brauchbar und zweckmäßig da-
stehen will, und ihnen muß ästhetisch, durch anschau-
liche Betonung, gerecht werden, was schön sein will.
Das tut nicht der Häuserwürfel und der Aleidungs-
sack und die Grnamentüberladung da und dort; das
tut aber der richtige Schmuck, wie ihir Gottfried
Semper als einen Ausdruck der drei Diinensionen
auch beim menschlichen Aörper erklärt hat. Zn
Hebung und Senkung, Einschnitt und Ausbuchtung,
Hauptteil und Nebenteil u. f. w. baut sich alle Glie-
deruttg auf. Das tut nicht die Weise, wie man
Kopfleiste zum Vorwort zu „Freie Studien", (Baum-
gärtners Verlag in Leipzig), von Gg. Halmhuber, Stuttgart.
29g
Wendungen sind. Das Giebelornament des modernen
Miethauses, die Majolikavase des Salons, das
Schleifenwerk eines Damenhutes, die hochelegante
Arawatte: das sind so die richtigen Phrasen der
Aunstsprache. Wie „schäbig" diese Eleganz ist, merkt
man meistens gar nicht.
Sind dies eigene, sozusagen ausgezeichnete Phrasen,
so gleicht das, was wir gewöhnlich auf dem Leibe
tragen, dem gewöhnlichen Fluß der Rede des Plau-
derers. Wie da die üblichen Sätze über Wetter und
Theater, über Geschäfte und Zeitungshistorie heraus-
sprudeln, bei Herrn Müller nicht viel anders als bei
Fräulein Schultze: so schwätzen wir auch in Gestalt
unserer Aleidungsstücke das allgemeine Geschwätz
weiter. Es sind konventionelle Formen, um nicht
zu sagen: konfektionelle Formen. Zn den Aonzerten
wird meistens ebenso Musik gemacht; da kommen
die Töne ebenso hübsch gleichmäßig nacheinander
heraus, wie man über die Gegenstände des Alltags-
interesses redet, und wie man in seinen Anzug
schlüpft, den man neulich dort gekauft hat, wo die
Vettern und Basen ebenfalls einen solchen kaufen.
Es ist beinahe ein Wunder, daß nicht schon
längst allgemein an Stelle einer den Aörperbau aus-
sprechenden Aleidung mit ihren Gelegenheiten der
Variationen in Zeichnung und Farbe ein ganz ein-
förmiger und einfarbiger, am bequemsten ein grauer
Sack eingeführt worden ist, den man nur eben mög-
lichst bequem über den Aörper zu ziehen hätte. Also
ein abgekürztes Verfahren, wie man es im Bauwesen
an den Häuserwürfeln mit einer bestimmten Zahl
von Stockwerken und Fenstern und mit einem gleich-
förmigen Anstrich bereits hat; oder wie Statuen
eines berühmten Mannes nach einem möglichst ein-
fachen Modell zu Tausenden verbreitet werden. Die
Geschichte mit dem Sack darf man nicht allzu komisch
nehmen. Sack bedeutet hier: Aleid ohne jegliche
Metrik und Rhythmik, ohne Hauptlinien und Neben-
linien, ohne tragende und getragene Bestandteile,
ohne Aern und Füllung, ohne Wesentliches und Un-
wesentliches, ohne Licht und Schatten, ohne Schweres
und Leichtes, ohne Akzent und Tonschwäche. Also
mit einem Worte das, was das Gewöhnliche in
jeder künstlerischen Produktion und Reproduktion ist;
das, was wir hören, wenn die Tochter des Kaufes
Alavier spielt, und was wir sehen, wenn wir die
Blicke über die Fassaden einer Straßenseite und dann
wiederum über die der nächsten Straßenseite gleiten
lassen.
Wenn etwas so recht geeignet ist, uns ein Natur-
muster zu geben, an dem wir sehen können, wie das
alles nicht so sein soll, so ist es der menschliche
Aörper, die vielleicht reichste Vereinigung von Metrik
w.
S)as wirtschaftliche
5(3. Kopfleiste aus der Lhronik der Stadt Stuttgart,
von Gg. kfalm Huber, Stuttgart.
und Rhythmik, von Hauptlinien und Nebenlinien, von
Tragendem und Getragenem, von Schwer und Leicht,
von Zusammenziehung und Ausdehnung, ja vielleicht
von allem, was zum Bau der großen Welt, des
„Aosmos", gehört. Über dessen Nachbildung in einer
kleinen Welt, tu einem „Mikrokosmos", kommen
wir, so oder so, bei allen unseren Aunstleistungen
nicht hinaus. Bleiben wir hinter einem solchen Nach-
bilden zurück, so ist's um uitsere Aunst geschehen.
Zn drei Dimensionen baut sich alle Architektur und
die meiste dekorative oder angewandte oder gewerb-
liche Aunst auf; den drei Dimensionen muß physisch
gerecht werden, was brauchbar und zweckmäßig da-
stehen will, und ihnen muß ästhetisch, durch anschau-
liche Betonung, gerecht werden, was schön sein will.
Das tut nicht der Häuserwürfel und der Aleidungs-
sack und die Grnamentüberladung da und dort; das
tut aber der richtige Schmuck, wie ihir Gottfried
Semper als einen Ausdruck der drei Diinensionen
auch beim menschlichen Aörper erklärt hat. Zn
Hebung und Senkung, Einschnitt und Ausbuchtung,
Hauptteil und Nebenteil u. f. w. baut sich alle Glie-
deruttg auf. Das tut nicht die Weise, wie man
Kopfleiste zum Vorwort zu „Freie Studien", (Baum-
gärtners Verlag in Leipzig), von Gg. Halmhuber, Stuttgart.
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