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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Roessler, Arthur: Ludwig Richter: zu des Künstlers hundertstem Geburtstag: 28. September 1803 - 28. September 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0350

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Ludwig Richter.

552. Holzschnitt nach Ludwig Richter (aus I. p. Hebels
Allemannische Gedichte, Leipzig, Gg. Wigand, ^85 0, geschnitten
von Steiner. Wenig verkleinert.

nicht naturalistisch, so doch realistisch, im Richterschen
Sinne realistisch, dargestellten Vorganges mit einer
rein dekorativen Note der Zeichnung finden wir in
seinen meisten Zeichnungen, besonders charakteristisch
noch auf den beiden hier wiedergegebenen Blättern
„Unser täglich Brot gib uns heute" und „Sonntags-
frühe". Auf dem einen Bild wiegt sich in den
Zwickelzierstücken links ein Vogelnest mit Nestlingen
darin, die vom alten Vogel geatzt werden, rechts
bietet ein aus einem Blütenkelch auftauchender
Blumengeist hu Taukrüglein der heransummenden
Pummel Trank, auf dem anderen wachsen aus dem
stilisierten Spruchband Blumenbuschen heraus. In
München brachte diese dekorativen Anfänge Tugen
Neureuther zur üppigsten Blüte in seinen oft von
reizenden Arabesken und ornamentalen Umrahmungen
übersponnenen Bildern, die später allerdings oft von
einem wilden Gewirrs allzusehr überwuchert waren,
so daß schließlich die Wirkung des dargestellten Paupt-
gegenstandes darunter vollends erstickte. In der
mäßigen und geschmackvollen An-
wendung Richters jedoch kommt
diese Verquickung von rein Ding-
lichem mit rein Ornamentalem zu
guter Wirkung.

Richter hatte nun sein Be-
tätigungsfeld, das er bis zu seinem
Tode bearbeitete. Sein äußeres
Leben läuft nun eben so ruhig wie
sein inneres ab. Tr hatte nach
dem, wegen Alters pensionierten
Vater, dessen Stelle als Professor

Schlußstück nach
Ludw. Richter.

an der Dresdener Akademie angenommen; sie bot
ihm die Möglichkeit, sich von der Beengung der
Textillustration frei zu machen, sich die Stoffe in
freier Wahl zu holen.

Nachdem ihm viele seiner teueren Lieben, auch
seine Frau, gestorben war, zog er sich nach Loschwitz
zurück. Pier wandelte er auf einsamen Spazier-
gängen über die stillen Waldwege der Loschwitzer und
Wachwitzer pöhen; hier blickte er durch die von
Weinreben umrankten Fensterlein in die Ferne und
sann seinem Leben nach; von hier aus schrieb er
seinen: Freunde Thäter nach München: „Ich komme
mir jetzt vor wie ein Schauspieler, der, von der
Bühne heruntergestiegen, in den Reihen des Publi-
kums sitzt, und sich nun von anderen Kollegen was
Vorspielen läßt, denn ineine künstlerische Tätigkeit
reduziert sich beinahe auf Null — teils, weil meine
Augen so schlecht geworden, auch die pand sehr
unsicher ist, hauptsächlich aber, weil die Phantasie
sehr lange ausruht, ehe sie wieder einmal — nicht
zum Aufstiegen — nein, nur zum Aufstehen kommt."
And hier starb er auch s884 friedlich und kampflos,
in dem erhebenden Gefühl seiner Zeit viel Gutes
und Schönes gegeben zu haben. Tr war seine
eigenen Wege gegangen, sie hatten ihn direkt in das
perz des Volkes geführt. Tr durfte daher mit Be-
rechtigung sagen: „In einer großen Kunst- und
Künstlerstadt gibt's Parteien, und die besten Leute,
wenn sie einer Parteifahne folgen, saufen Unrecht
wie Wasser, wie schon piob sagt, und schütten das
Rind mit dem Bade aus. Ts ist ja bei uns Malern
auch so, und ich bin froh, daß ich, wie ich glaube,
einen Standpunkt über den Parteien gefunden habe.
Ich weiß, was die Kunst ist und was sie fordert,
freue mich ihrer vielfachen Abstufungen und Rich-
tungen, kenne ihre Verirrungen und Abwege und
begnüge mich freudig mit den: Winkelchen, wo mir
meine Stellung angewiesen ist, mögen sie andere
über- oder unterschätzen, das macht mich nicht irre."

Und wenn auch Richters Zeichnung etwas
pedantisches, Akzentloses, jene schwächliche, verall-
gemeinernde Rundheit hat, die gegenüber dem brüsken,
nervösen Strich der Alten wie Genialität des Zeichen-
lehrers wirkt, wie Muther sagt, hat sie doch wieder
so viel hervorragende Qualitäten, besonders in bezug
auf das Gefühl und die Absicht, aus der heraus sie
geschaffen wurde, daß die mit ihr gebildeten Werke
zum dauerndsten und wertvollsten Besitztum deutscher
Uunst gerechnet werden müssen, weshalb auch wir
es nicht unterlassen wollen, beini Anlaß des fOO. Ge-
burtstages des liebenswürdigen Künstlers, seinem
Gedenken ein Blatt zu widmen.

Artur Roeßler.

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