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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Jaumann, Anton: Technik und Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0049

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Technik und Aesthetik.

59. vera>ida; Entwurf von Willy v. Beckerath; ausgeführt
von den „Werkstätten für Wohnungseinrichtung, At Bertfch".

weltabgewandten Treibhausdasein; das Kunstgewerbe
trat vielmehr als erster Kämpe auf 5eu plan und
mühte sich in heißer Arbeit, auf seiuem Wirkungs-
feld der Kunst bestimmenden Einfluß auf das Leben
zu verschaffen. Nicht übermütige Neuerungslust war
die Triebfeder für die nun zehnjährige Bewegung,
sondern die Sehnsucht uach eiuer modernen Kultur.

Werfen wir jetzt einen Blick über die Erzeug-
nisse des Kunstgewerbes in dieser seiner letzten Epoche,
so überrascht die stille von mannigfaltigen und oft
außerordentlich schönen Gebilden, die sowohl an
Formenreichtum wie Güte diejenigen der meisten
vergangenen Stilperioden übertreffen. Dennoch heißt
es: Borsicht! Glauben wir nicht, daß damit der
Kampf entschieden, daß die neue Kultur nur mehr
eine Frage von Jahren sei. Ein tiefer Einfluß auf
die Lebensführung der Wenge ist noch nicht gewonnen
worden, und für weite Gebiete, so namentlich für
das spez. Woderne in der Industrie und Technik,
im Verkehrs- und Städtewesen, ein Beweis der Ge-
ftaltungsfähigkeit nicht erbracht. Das für die moderne
Kultur vielleicht wichtigste und entscheidende Problem
harrt noch der Lösung, dieses nämlich: Ob die
Forderungen der Kunst mit denen der Technik, der
Nützlichkeit, der Billigkeit, der pygiene in Einklang
zu bringen oder ob ein fundamentaler, unüberbrück-
barer Riß zwischen ihnen klaffe. Wir bauen die

päuser praktisch und gesund, die Gebrauchsgegenstände
werden durch die Waschinen unerhört billig hergestellt
und die Waschinen selbst sind aufs ingenieusefte und
exakteste konstruiert, so daß sie eine ungeheure Leistungs-
fähigkeit erreicht haben. Ich glaube, jeder modern
denkende Wensch würde sich inr Innersten dagegen
sträuben, jene Errungenschaften preiszugeben, und
wäre es auch zugunsten der höchsten Schönheit.
Sollte das Praktischste, das Billigste, das Gesündeste,
das technisch Leistungsfähigste — und gerade auf
diesen Superlativen besteht der moderne Wensch mit
Recht — vom Standpunkt eines feineren Geschmacks,
einer künstlerischen Empfindung abgelehnt werden,
so bliebe nichts übrig, als eben auf die so heiß er-
sehute Allgemeinherrschaft des Schönen zu verzichten.
Im Kampf zwischen Technik und Ästhetik müßte
die Ästhetik zurücktreten.

Bon diesen überragenden Gesichtspunkten aus
bitte ich die zwei folgenden Spezialfälle zu beurteilen.
Sie scheinen mir etwas zu enthalten, was auf eine
versöhnliche Schlichtung der Frage hinweist.

Das Gitter. Das eiserne Gitter. Es hat zu-
nächst einen praktischen Zweck. Es soll einen Raum,
einen Garten, einen pos einfrieden, oder zwei be-
nachbarte Räume trennen. Es markiert eine Wand,
aber eine Wand besonderer Art, die fast keine Dicke
besitzt, also reine Begrenzung, rein begrenzende Fläche
ist, eine Wand, die Luft uud Licht frei hindurch-
streichen läßt, und die den Durchblick nicht verhindert,
eine Wand endlich aus Eisen. Das Gitter muß
kräftig fein, sich gegen ein Durchfchlüpfen und Durch-
brechen und Nbersteigen wehren; denn seine Aufgabe
ist der Schutz des Eingefriedeteu uud die Abwehr
äußerer Gewalt. Diese Festigkeit soll nun aber, nach
einem allgemein technischen Grundsatz, mit möglichst
geringen Bütteln erreicht werden. Das Eisen bekommt
man nicht geschenkt; je mehr davon verwendet wird,
desto mehr ist auch zu bearbeiten, und desto größer
wird das Gewicht, was wieder Berstärkung des
Fundaments und der Aufhängevorrichtung nötig
macht. Wir möchten außerdem die perstellung mög-
lichst vereinfachen und verbilligen und alle Arbeit
vermeiden, die nicht der Zweck direkt erfordert. Das
sind die praktisch-technischen Ansprüche an ein gutes
Gitter. Nun fragt es sich, ob sie im Widerspruch
stehen zu denen der Ästhetik.

Auch ästhetisch genommen hat das Gitter die
Idee der Begrenzung und Raumtrennung auszudrücken.
Räume können nur durch Flächen begrenzt oder ge-
teilt werden. Die Fläche erfordert an sich gar keine
Dicke. Das dünnere Gitter genügt somit nicht minder
als die Wand. Und die Öffnungen, durch die Licht
und Luft hiudurchstreichen, sind auch in ästhetischer

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