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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Michel, Wilhelm: Des Kunsthandwerks junge Mannschaft, [10]: Max Pfeiffer
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0269

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Des Kunftpanbroerfs junge Mannschaft. — jo. Mar Pfeiffer.

555. Naturstudie (Krautstrunk); von Max Pfeiffer, München,
(palbe Größe der Grigiualzeichnung.)

2lusbildung in den dantals neu gegründeten Lehr-
und Versuch-Ateliers für angewandte und freie Dunst
(W. v. Debschitz). Pier wurden die aus der wissen-
schaftlichen Beschäftigung mit der Natur empfangenen
Anregungen vertieft und erweitert. Der Leser findet
unter den beigegebenen Abbildungen eine aus dieser
Dchülerzeit stammende Naturstudie nach einem Araut-
strunk. Die wirst aus die Art und Weise, wie in
der genannten Lehranstalt die Natur der Dunst dienst-
bar gemacht wird, ein schönes Licht. Diese Dtudie
ist mehr als eine Übung des Auges und der pand.
Die ist eine Anregung der Phantasie, die dem künst-

lerischen Ingenium so notwendig ist wie dein Leibe
das Brot. Die fasern dieses wunderlichen Natur-
dinges erscheinen einmal wie Flammenzungen, die
aus Dcheitern lebhaft Hervorbrennen, dann wieder
wie das Gewässer eines reißenden Baches, der durch
emporstarrende Felsstücke schäumend seinen Weg
nimmt. Andere Anregungen bietet die Dtudie, wenn
sie der Dunstgewerbler beschaut mit den: Wunsche,
irgendetwas davon für eine Dunstform zu profi-
tieren. Da wird er sich etwa den wundervollen
Rhythmus der kleineren Hohlräume zu nutze machen,
er wird sich einprägen, wie hier eine und dieselbe
Bewegung sich hundertmal am selben Hindernis stoßt
und es hundertmal in verschiedener Weise umgeht
oder überwindet. Als Flächenkünstler wird er sich
das dekorative Prinzip anzueignen suchen, nach dein
dieses Naturobjekt, als Fläche betrachtet, geschmückt
ist. Der Möbelkünstler wird darin Anregungen
finden für die Ausgestaltung einer freien Endigung,
einer Dtuhllehne oder irgend eines anderen exponier-
ten Punktes, der dem künstlerischen Dpieltrieb Ge-
legenheit zur Entfaltung bietet. Dtein, polz, Metall
und alle des Dchmuckes harrende Flächen können
einen, wenn auch unscheinbaren Gewinn an Dchön-
heit aus einer solchen Dtudie beziehen. Der „freie"
Dünstler aber mag davor sein Auge mit Linien-
wohllaut sättigen und meinethalben nur das Bild
einer senkrecht entwickelten Bewegung davontragen.
Ich könnte mir — vielleicht darf man so etwas
sagen, ohne seinen Dredit zu schädigen? — ein
Jüngstes Gericht denken, das den Rhythmus im
Aufwogen der Auferstehungsleiber von diesem Draut-
strunk geborgt hätte.

In anderer Weise wird das Dtudium der Natur-
wirksam bei den gleichfalls abgebildeten Grabsteinen
und der in Hellem Eichenholz ausgeführten Zimmer-
einrichtung. Pier hat die Naturform sichtbar aus
die Aunstform eingewirkt. Dchon Goethe hat be-
merkt, daß die Form des ägyptischen Obelisken keine
künstliche Erfindung ist, sondern beinahe eine Natur-
sorm, die sich aus der Driftallisationsart des be-
treffenden Gesteines von selbst ergab. Er schloß dies
aus der Tatsache, daß die an solchen Obelisken vor-
kommenden Dchristzeichen, Pieroglyphen usw. wohl
erhaben waren, aber in einer über die ganze Breit-
seite des Dteines sich erstreckenden Vertiefung saßen.
Was dem alten ägyptischen Dteinmetz eine Not-
wendigkeit, zum mindesten eine Arbeitserleichterung
war, ist uns heute zum künstlerischen Gesetz gewor-
den: der engere Anschluß an die Natur, die größere
Nachgiebigkeit gegen den Willen des Materials.
Mit einer exemplarischen Dtrenge ist dieses neue
ästhetische Gesetz in Pfeiffers Grabsteinen heraus-

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