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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Gmelin, Leopold: Das Kunstgewerbe auf der Nürnberger Ausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0303

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Das Aunftgewerbe auf der Nürnberger Ausstellung.

6^0. Gebäude der Staatsforstausstelluug; nach Entwurf von Theodor v. Kramer, Nürnberg.

bescheidene Rolle spielen. Denn in den hundert
fahren, seit die Stabt dem Königreich Bayern ein-
verleibt ist und in denen sich ihre Einwohnerschaft
auf mehr als das Zehnfache gehoben hat, während
sich gleichzeitig um den mittelalterlichen Kern ein
breiter Gürtel neuer Stadtteile spannte, wuchs eine
gewaltige Industrie heran, die mit ihren staunens-
werten Erzeugnissen das Kunstgewerbe in den Schatten
stellte, wo es mit seinem bescheidenen Handwerkszeug
— helfende Arbeitsmaschinen kannte man außer
Webstuhl, Töpferscheibe, Drehbank bis in die
Dutte des W- Jahrhunderts noch kaum — schlecht
und recht weiter hantierte und ein kümmerliches,
wenig beachtetes Dasein fristete, bis der im Jahre
s876 in der Münchener Ausstellung angeschlagene
Ton auch in Nürnberg ein Echo weckte. Man
wähnte nun, es bedürfe nur des engen Anschlusses
an die alten Borbilder, mit denen ja Nürnberg so
überaus reich gesegnet ist, um die vor dreihundert
Jahren unterbrochene bzw. sehlgeleitete Entwickelung
weiter gedeihen lassen zu können. Alan beachtete
gar nicht, daß die Formenwelt, die man zum Bor-
bild nahm, nichts Absolutes war, sondern dem Zu-
sammenwirken des künstlerischen Empfindens der
Zeit mit den Forderungen des Zweckes, des Mate-
rials und des Werkzeugs ihr Dasein verdankte, —
und man begnügte sich, das Gewand der Alten zu
borgen.

Die Landesausstellung im Jahre f882 in Nürn-
berg zeigte diese Schaffensweise in voller Herrschaft;
aber schon die folgende — l8st6 — ließ erkennen,
daß da und dort der alte Glaube ins Wanken ge-
kommen war. Die Borgänge, die sich im Bereich
des Kunstgewerbes dann seit der 2. chälfte der stOer
Jahre abspielten, führten auch in Nürnberg zu einer
auf manchen Gebieten fast völligen Abwendung von
den „Alten"; was die heurige Ausstellung z. B. an
Nürnberger Zimmereinrichtungen bringt, gibt dafür
die unzweideutigsten Belege. Nur ganz wenige Aus-
steller getrauen sich schüchtern, mit etlichen gotischen
und Renaissancemöbeln auf die Liebhaberei der Alter-
tümler zu spekulieren. Um so schlimmer ist es aller-
dings mit anderen Zweigen des Kunstgewerbes ge-
blieben, z. B. mit der „Souvenier-Industrie".

An der raschen Wandlung hat auch die Darm-
städter Ausstellung (WOs) einen großen Anteil; ohne
alles billigen zu wollen, was damals ausgebrütet
worden, kann man doch heute schon sagen, daß diese
Beranstaltung wie ein heftiges Gewitter gewirkt hat.
sie rüttelte so unbarmherzig an den morschen, durch
die Konvention verschlossenen Türen, daß sogar vielen,
die unter der Tyrannei der Überlieferung seufzten
und — nach frischer Luft verlangend — die Pforten
öffnen halfen, der Luftzug zu stark war. Die zutage
getretene anarchistische Auflehnung gegen alles Über-
lieferte, bloß weil es nicht neu war, mußte Ber-

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