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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 56.1905-1906

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Gmelin, Leopold: Das Kunstgewerbe auf der Nürnberger Ausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10293#0307

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Das Kunftgemcrbe auf der Nürnberger Ausstellung.

6;6. Hepi'äfeutatiousraum mit l^auptmiiujamt; im Gebäude der Staatsausstellung. Entwurf von Ludwig Ullmaun,

Nürnberg.

Auch die ganz reale, wenn man will nüchterne
Weltanschauung unseres naturwissenschaftlichen Zeit-
alters hat ihreti Anteil an der Neigung zur Ver-
einfachung, zur Abstreifung alles Überflüssigen; wie
die Naturwissenschaft alles Mystische, Übersinnliche
aus ihren Forschungen und Deutungen verbannt
hat, wie sie an allen Naturgebilden den Zweck, die
Aufgabe der einzelnen Teile zu erkennen sucht, so
verlangt man auch im Aunstgewerbe die reine, un-
verschleierte Wahrheit, klare Aussprache der Funk-
tionen der einzelnen Gliedmaßen ic.; — unechtes
Material und beschönigender Aufputz sind verpönt,
kaum daß man noch auf ein Symbol als geeignetes
Leitmotiv bei der „bewußten Selbsttäuschung" greifen
darf, — ein Zustand, der selbstverständlich folgerichtig
zur absoluten Nüchternheit, d. h. Kunstlosigkeit führen
würde. Tin völliger Verzicht auf die Bildersprache
wäre das Tnde der aitgewandten Kunst I

Vorerst steckt aber noch so viel Verzierungslust
in den Menschen — man denke nur an den stetigen
Wechsel der Moden ■—, daß man jenen Zustand
ttoch in sehr nebelhafter Ferne vermuten darf; aber
es läßt sich nicht bestreiten, daß schon in der immer
weiter um sich greifenden Beihilfe der Maschine ein

Moment gegeben ist, was zugunsten der Verein-
fachung wirkt. Während der Schmied vor Jahr-
hunderten sich seine Gitterstäbe erst aus dem Roh-
eifen zurecht hämmern mußte, wobei Ungleichheiten
unvermeidlich waren, bezieht er heute Rundstäbe,
Vierkante, Röhren, Bleche aller Art in stets gleich-
bleibender Form, in beliebiger Menge von einem
Walzwerk. Der Tischler freilich bekommt sein polz
schon seit langer Zeit meist in rechtwinklig, eben-
flächig geschnittenen Stücken geliefert, was die pervor-
bringung geschweifter Formen und die Anwendung
stark ausladenden Schnitzwerkes erschwert; aber da
wir mit unfern teureren Arbeitskräften und mit dem
Material selbst haushälterischer umzugehen gezwungen
sind, so ergibt sich, daß die Wandlungen, die das
Material durchmachen muß, um aus Brettern zu
einem Tisch, aus Tisenstäben zu einem Türgitter
zu werden, keinen so weiten Weg mehr zurückzulegen
hat, daß also in dem fertigen Gegenstand noch mehr
von der Urform des Rohmaterials sichtbar bleiben
wird als früher.

Wie weit aber auch die Maschine Mitarbeiterin
beim Kunsthandwerk werden mag, eines bleibt ihr
immer verschlossen: das persönliche. Sie wird

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