Das Aunstgewerbe auf der Nürnberger Ausstellung.
die vorher allzu einseitige Herrschaft der Architekten
und des Reißbretts in: Gebiet der Raumkunst; jetzt
begannen Maler und Pinsel das Regiment zu führen.
Lautete früher die Parole: „erst die Form, dann die
Farbe", so heißt sie jetzt: „erst die Farbe, dann die
Form". Das Richtige liegt in der Mitte, wenn
Form und Farbe gleichzeitig und gleichberechtigt mit-
einander wirken, wie Rhythmus und Don in der
Musik. 3n bezug auf farbenharmonische Ausstattung
eines Raumes erwiesen sich die neuen Lenker der
Dinge ihren Absichten völlig gewachsen; in bezug
aus das konstruktive währte es geraume Zeit, bis
die Ergebnisse ganz befriedigten.
Anläßlich der Ausstellung hat man sich im
ganzen Lande beeilt, den neuen Grundsätzen seine
Huldigung darzubringen; selbst kleinere StäMe haben
modern gedachte Zimmereinrichtungen gebracht, deren
Geburtsstätte da in einer Tischlerzeitung, dort in
einem Architekten-Bureau zu suchen ist — Arbeiten,
die zwar keine werbende Ara ft besitzen, aber doch
ehrlich gemeinte Bekenntnisse darstellen. Leibst die
ihrer ganzen Natur nach stets konservative Obrigkeit
kam dem neuen Stil entgegen, indem sie da und dort
durch Erteilung von Aufträgen Gelegenheit zu Probe-
arbeiten verschaffte. Bayreuth gab den Auftrag, die
Ausstellung mit dem Direktorzimmer und einem Lehr-
zimmer der höheren Töchterschule zu beschicken;
Deggendorf, Lchwabach, Freising ließen Einrichtungen
für Bürgermeisterzimmer fertigen, Landshut ein
Direktorialzimmer und Laboratorium für den neuen
Lchlachthof ufw. Bis hinauf zu den vom Ver-
kehrs- und vom Justizministerium ergangenen Auf-
trägen haben sie alle die erst feit wenigen Jahren
aufgeschlossenen Wege eingeschlagen, selbst das in
der Ltaatsausstellung errichtete paus für Bahn-
bedienstete, dessen Ausstattung — von I. p all -
huber, München — darlegt, wie nahe sich die
Begriffe „modern" und „einfach" bei material-
gemäßer Durchbildung der Gegenstände eigentlich
stehen. Die Erteilung solcher Aufträge an Gruppen
von Handwerkern, wobei zugleich ein beachtenswertes
Ausstellungsobjekt geschaffen wurde, ohne daß die
Beteiligten ein Risiko trugen, war von bedeutendem
Einfluß auf die Beschickung der Ausstellung. Lind
doch über 30 solcher „Laminelausstellungen" im
Aatalog verzeichnet! Der Eindruck, daß das nach
künstlerischer Vervollkommnung strebende Lchreiner-
handwerk bereits ganz für die moderne Ltilweife
gewonnen ist, rührt wesentlich davon her; denn wie
vieles auch davon noch verfehlt, übertrieben, mißver-
standen ist: der Prozentsatz an Minderwertigem
scheint uns auf dem Gebiet der Möblierung niedriger
als etwa auf dem der sog. „Aurzwaren", beispielsweise
der Zinnsachen, Eisengußwaren ic., wo die vom
Bayer. Gewerbemuseum eingeführten MeisterkursB)
noch ein weites Wirkungsfeld finden.
Leit, wie oben gesagt, Maler und Pinsel
das Regiment führen — eine Führung, der sich
mancher junge Architekt zu seinem Vorteil ver-
trauensvoll angeschlossen hat, erfreut sich die Farbe
einer viel größeren Wertschätzung als früher — nicht
im Linne der Benutzung der Pigmente, sondern im
optischen Linne. Wie schon ganz besonders bei der
letztjährigen Münchener Ausstellung wahrgenommen
werden konnte, sucht man in einem Raun: mit
wenigen Grundfarben auszukommen, die man nach
Bedarf verschieden abstimmt. Das Wohltuende,
Einschmeichelnde eines so abgestiminten Raumes
einpfindet man erst so recht, wenn man Räumen
begegnet, in denen ohne ausreichendes Verständnis
für andere Farbenharmonie von diesen: Grund-
satz abgegangen ist; wo in einem Zimmer ein schwarz
gebeiztes Eichenholzmobiliar, ein habannabrauner
Bodenbelag, ein blaugrüner Teppich, himbeerrote
Polster und altgelber Wandbezug vereinigt sind"), da
kann keine einheitliche, harnwnische Ltiininung
herauskommen, weil jede der Farben isoliert dasteht
— gleich einer Gesellschaft, in der jedes einzelne
Glied wieder andere Lebensanschauungen, andere
pnteressen, andere Verwandte hat, keines beim andern
ein Echo findet. Da n:u ß es ja ungelöste Dissonanzen
geben; das polzwerk, welches mit Teppich, Polstern,
Wandbezug in unmittelbare Berührung tritt, könnte
berufen sein, in den: angeführten Fall das Binde-
glied zwischen den Verschiedenheiten zu bilden, aber
seine zurückhaltende Farbe entwindet ihm die Macht,
gegen die kräftige Buntheit der übrigen Ltoffe er-
folgreich anzukämpfen?)
tz vgl. darüber Iahrg. ;Y02, S. 2;8, und Iahrg. 190^,
5. 297.
2) Lin Zimmer aus Ingolstadt.
3) Daß man schon in früheren Zeiten auf solches Farben-
echo wert gelegt, dafür bietet die Ausstellung von Alt-Nürnberg
ein paar ganz interessante Belegstücke in den (an sich unschein-
baren) Bildern der beiden Regimentsstuben. Bei dein einen
finden sich rote wände, rote Bänke, die Stühle abwechselnd
rot und grün; bei dem andern sind wände, Bänke und £7013«
stühle grün, Polsterlehnstühle und Tischdecken schwarz. — Die
Wiederkehr derselben Farbe ist auch ein Grundcharakterzug der
Straßeudekoration des XV. Deutschen Bundesschießens in
München; die treffliche, bei aller Abwechslung im einzelnen
doch ruhige Wirkung derselben beruht eben auf der Linheit-
lichkeit in den Farben. Ls kann sich nichts vordräugen; alles
ist den wenigen Farben untertan — grün, fchwarz und gelb,
oder grün und rot, oder grün, weiß und blau rc., — die schon
vermöge ihrer optischen Lnergie in den Vordergrund treten
und alles übrige beherrschen.
■9<k
die vorher allzu einseitige Herrschaft der Architekten
und des Reißbretts in: Gebiet der Raumkunst; jetzt
begannen Maler und Pinsel das Regiment zu führen.
Lautete früher die Parole: „erst die Form, dann die
Farbe", so heißt sie jetzt: „erst die Farbe, dann die
Form". Das Richtige liegt in der Mitte, wenn
Form und Farbe gleichzeitig und gleichberechtigt mit-
einander wirken, wie Rhythmus und Don in der
Musik. 3n bezug auf farbenharmonische Ausstattung
eines Raumes erwiesen sich die neuen Lenker der
Dinge ihren Absichten völlig gewachsen; in bezug
aus das konstruktive währte es geraume Zeit, bis
die Ergebnisse ganz befriedigten.
Anläßlich der Ausstellung hat man sich im
ganzen Lande beeilt, den neuen Grundsätzen seine
Huldigung darzubringen; selbst kleinere StäMe haben
modern gedachte Zimmereinrichtungen gebracht, deren
Geburtsstätte da in einer Tischlerzeitung, dort in
einem Architekten-Bureau zu suchen ist — Arbeiten,
die zwar keine werbende Ara ft besitzen, aber doch
ehrlich gemeinte Bekenntnisse darstellen. Leibst die
ihrer ganzen Natur nach stets konservative Obrigkeit
kam dem neuen Stil entgegen, indem sie da und dort
durch Erteilung von Aufträgen Gelegenheit zu Probe-
arbeiten verschaffte. Bayreuth gab den Auftrag, die
Ausstellung mit dem Direktorzimmer und einem Lehr-
zimmer der höheren Töchterschule zu beschicken;
Deggendorf, Lchwabach, Freising ließen Einrichtungen
für Bürgermeisterzimmer fertigen, Landshut ein
Direktorialzimmer und Laboratorium für den neuen
Lchlachthof ufw. Bis hinauf zu den vom Ver-
kehrs- und vom Justizministerium ergangenen Auf-
trägen haben sie alle die erst feit wenigen Jahren
aufgeschlossenen Wege eingeschlagen, selbst das in
der Ltaatsausstellung errichtete paus für Bahn-
bedienstete, dessen Ausstattung — von I. p all -
huber, München — darlegt, wie nahe sich die
Begriffe „modern" und „einfach" bei material-
gemäßer Durchbildung der Gegenstände eigentlich
stehen. Die Erteilung solcher Aufträge an Gruppen
von Handwerkern, wobei zugleich ein beachtenswertes
Ausstellungsobjekt geschaffen wurde, ohne daß die
Beteiligten ein Risiko trugen, war von bedeutendem
Einfluß auf die Beschickung der Ausstellung. Lind
doch über 30 solcher „Laminelausstellungen" im
Aatalog verzeichnet! Der Eindruck, daß das nach
künstlerischer Vervollkommnung strebende Lchreiner-
handwerk bereits ganz für die moderne Ltilweife
gewonnen ist, rührt wesentlich davon her; denn wie
vieles auch davon noch verfehlt, übertrieben, mißver-
standen ist: der Prozentsatz an Minderwertigem
scheint uns auf dem Gebiet der Möblierung niedriger
als etwa auf dem der sog. „Aurzwaren", beispielsweise
der Zinnsachen, Eisengußwaren ic., wo die vom
Bayer. Gewerbemuseum eingeführten MeisterkursB)
noch ein weites Wirkungsfeld finden.
Leit, wie oben gesagt, Maler und Pinsel
das Regiment führen — eine Führung, der sich
mancher junge Architekt zu seinem Vorteil ver-
trauensvoll angeschlossen hat, erfreut sich die Farbe
einer viel größeren Wertschätzung als früher — nicht
im Linne der Benutzung der Pigmente, sondern im
optischen Linne. Wie schon ganz besonders bei der
letztjährigen Münchener Ausstellung wahrgenommen
werden konnte, sucht man in einem Raun: mit
wenigen Grundfarben auszukommen, die man nach
Bedarf verschieden abstimmt. Das Wohltuende,
Einschmeichelnde eines so abgestiminten Raumes
einpfindet man erst so recht, wenn man Räumen
begegnet, in denen ohne ausreichendes Verständnis
für andere Farbenharmonie von diesen: Grund-
satz abgegangen ist; wo in einem Zimmer ein schwarz
gebeiztes Eichenholzmobiliar, ein habannabrauner
Bodenbelag, ein blaugrüner Teppich, himbeerrote
Polster und altgelber Wandbezug vereinigt sind"), da
kann keine einheitliche, harnwnische Ltiininung
herauskommen, weil jede der Farben isoliert dasteht
— gleich einer Gesellschaft, in der jedes einzelne
Glied wieder andere Lebensanschauungen, andere
pnteressen, andere Verwandte hat, keines beim andern
ein Echo findet. Da n:u ß es ja ungelöste Dissonanzen
geben; das polzwerk, welches mit Teppich, Polstern,
Wandbezug in unmittelbare Berührung tritt, könnte
berufen sein, in den: angeführten Fall das Binde-
glied zwischen den Verschiedenheiten zu bilden, aber
seine zurückhaltende Farbe entwindet ihm die Macht,
gegen die kräftige Buntheit der übrigen Ltoffe er-
folgreich anzukämpfen?)
tz vgl. darüber Iahrg. ;Y02, S. 2;8, und Iahrg. 190^,
5. 297.
2) Lin Zimmer aus Ingolstadt.
3) Daß man schon in früheren Zeiten auf solches Farben-
echo wert gelegt, dafür bietet die Ausstellung von Alt-Nürnberg
ein paar ganz interessante Belegstücke in den (an sich unschein-
baren) Bildern der beiden Regimentsstuben. Bei dein einen
finden sich rote wände, rote Bänke, die Stühle abwechselnd
rot und grün; bei dem andern sind wände, Bänke und £7013«
stühle grün, Polsterlehnstühle und Tischdecken schwarz. — Die
Wiederkehr derselben Farbe ist auch ein Grundcharakterzug der
Straßeudekoration des XV. Deutschen Bundesschießens in
München; die treffliche, bei aller Abwechslung im einzelnen
doch ruhige Wirkung derselben beruht eben auf der Linheit-
lichkeit in den Farben. Ls kann sich nichts vordräugen; alles
ist den wenigen Farben untertan — grün, fchwarz und gelb,
oder grün und rot, oder grün, weiß und blau rc., — die schon
vermöge ihrer optischen Lnergie in den Vordergrund treten
und alles übrige beherrschen.
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