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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 60.1909-1910

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Gmelin, L.: Ausstellung bemalter Wohnräume München 1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.9044#0323

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Ausstellung bemalter lvohnräume München ;y;o.

nicht sagen, daß dieser Gefahr viele Aussteller zum
Opfer gefallen sind. Daß aber auf der andern
Seite einer sich zu jener pöhe feiner Kunst empor-
geschwungcn, die allein zur Herrscherstellung in der
Raumkunst berechtigt, zur Monumentalmalerei, durfte
inan bei „Wohnräumen" nicht erwarten. Einen
Anlauf dazu zeigt der „Sitzungssaal einer Studien-
anstalt", wo Hermann Urb an' s große Ölgemälde
den Raum völlig beherrschen (Abb. 620).

Dagegen enthält die Ausstellung nicht wenig
Räume, in denen die gegebene Farbe der verschie-
denen Bestandteile — Mobiliar, Korbstühle, Pol-
sterungen, Fliesen, Vorhänge, Teppiche — unberührt
von Übermalung zu harmonischer Wirkung vereinigt
sind, und wo die Mitwirkung des Malers sich mit
der Behandlung von Wänden und Decken begnügt.
Legt man heutzutage aus guten Gründen Wert da-
rauf, das Material in seiner natürlichen Beschaffen-
heit in die Erscheinung treten zu lassen, so mußte
diese Forderung notwendig zu einer Entrechtung,
einer Entthronung der Stubenmalerei führen, wenn
man sie ohne Einschränkung gelten ließ; denn jede
Bemalung versteckt mehr oder weniger das Werk-
material des bemalten — „gefaßten" — Objekts.
Bon allen Mitteln, auf eine farbenharmonische Er-
scheinung eines Raumes hinzuwirken, ist das der
Bemalung das bequemste, billigste, ausgiebigste —
aber auch das oberflächlichste. Mit dieser Betonung
des Oberflächencharakters soll keineswegs der Wert
der Malerei herabgesetzt, sondern nur ihre Rang-
stellung gegenüber den übrigen raumausschmückenden
Künsten gekennzeichnet werden. So lang die Stuben-
malerei sich ihrer Nebenrolle bewußt bleibt und keine
Vorzugsstellung beansprucht, kann sie auch bei wohn-
räumen Gutes wirken. Es kommt immer darauf
an, ob die Bemalung zu einer Mehrung des Wertes,
zu einer Stärkung des Eindrucks ohne störende Neben-
wirkungen führt, — ob die farbliche Behandlung
derart ist, daß dadurch eine Rangerhöhung des be-
malten Objekts eintritt; es ist also zu entscheiden,
ob die Malerei ganz im Dienste des Objekts steht,
wobei sie sich genau seiner Gliederung anpassen muß,
wie ein Kleid auf deu Leib zugeschnitten wird —
oder ob sie sich ihren Tummelplatz nach eigenen
Gedanken zurechtmachen und sich auf ihm ausleben
kann. Der letztere Fall wird bei eigentlichen Wohn-
räumen selten eintreten, um so mehr aber bei Fest-
und Ehrenräumen, wo dann die Monumental-
malerei Hoheitsrechte ausübt, indem sie nnt ihrer ganzen
Macht und Würde die Leitung in die Hand nimmt
und den Raum samt seinem Gefolge an Mobiliar rc.
sich untertan macht. Wenn die hohe Kunst den Thron
besteigt, halten sich die kleinen Geister von selbst still.

Die Hilfsmittel, welche zur farbigen Beeinflussung
der Oberfläche gebraucht werden und von deren Be-
schaffenheit es abhängt, ob die Bemalung das völlige
oder teilweise Verstecken des Werkstoffs unter einer
fremden Farbdecke herbeiführt, können in drei Grup-
pen geordnet werden. Erstens solche, bei welchen
die behandelte Fläche nicht völlig versteckt wird, son-
dern nur einer graduellen Veränderung unterworfen
wird, — beizen, polieren rc.; das Hilfsmittel dringt
in die Oberfläche des Holzes ein und steigert dessen
farbige und zeichnerische Wirkung. Die zweite Gruppe
umfaßt jene Fälle, bei denen das färbende Material
mit dem Untergrund wesensverwandt ist, wodurch
eine innige Verbindung beider eintritt: die Fresko-
malerei und die Malerei in Mineral-, Kalk-, Leim-
farben rc. In die dritte Gruppe gehören endlich
jene Fälle, bei denen die Farbe in erster Linie nicht
den Zweck hat, dem Auge zu dienen, die Fläche zu
verschönern, sondern diese gegen schädliche Einwir-
kungen widerstandsfähiger zu machen, wofür der
Glfarbanstrich, der Eisen und Holz gegen Witterungs-
einflüsse sichert, das bezeichnendste Beispiel ist; wo
die deckende Ölfarbe aber auch angewandt wird,
immer sollte sie sich als das zu erkennen geben, was
sie ist und uns nicht Marmorstuck an Wand-
brüstungen oder Holzmasern an Türen, Intarsien an
Möbeln vortäuschen, am allerwenigsten da, wo das
nachgeahmte Material in unmittelbarer Nähe zu
sehen ist.

Dem Verlangen nach Materialechtheit entspräche
eigentlich allein die völlige Anstrichslosigkeit, und
darin liegt der Hauptgrund, warum die Gegenwart
der Farbanwendung kühler gegenübersteht als
frühere Zeiten; denn wir verlangen mehr nach
Echtheit als nach — Vorspiegelung falscher Tat-
sachen.

Der Fall, daß ein Werkstoff durch irgendein
technisches Verfahren versteckt, umkleidet wird, kommt
ja sehr häufig vor — Mosaik, Tapeten, Wand-
bezüge, Marmorplattenbelag rc. Bald sind es prak-
tische, bald optische oder allgemein ästhetische Gründe,
die Veranlassung dazu geben; der Ersatz, das Vor-
täuschen edleren Materials durch geringeres, wert-
vollere Arbeit durch billigere, mit einem Wort:
der Surrogatcharakter sollte aber unter allen Um-
ständen vermieden werden.

Die Leichtigkeit, mit der die Malerei arbeitet,
schließt die Versuchung in sich, gleich den Pinsel
als Retter in der Not herbeizurufen, wo etwas
farbenharmonisch nicht recht stimmt oder wo die
Mittel zu edlerer Ausführung nicht reichen — also
z. B. gemalte Mosaik-Imitation an Stelle wirk-
licher Mosaik. Das aber ist „Oberflächlichkeit"

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