Hans Friedrich Geist: Die Wiedergeburt des Künstlerischen aus
dem Volk. Ein Buch von der Kunst des Volkes und ihrer Betäti-
gung im Schaffen des Kindes als Beispiel praktischer Volkstums-
arbeit,
Mit 126 Abbildungen und reichem Buchschmuck; Verlag E. A.
Seemann, Leipzig, 1934, RM. 4,75; Leinen RM. 6,—.
Dieses Buch von H. F. Geist zerstört endlich einmal die land-
läufige Meinung, alles Kunstschaffen sei nur der kleinen Schar wirk-
licher Künstler möglich oder gar Vorbehalten. Das Buch beweist mit
großer Sorgfalt und liebevoller Mühe das Gegenteil. In allen
Schichten des Volkes herrscht eine natürliche und starke Schaffensfreude;
diese lebendige Schaffensfreude ist die Quelle jeder Laienkunst und
vor allem die Triebfeder im einfachen, unbekümmerten Abmühen der
Kinder um die Darstellung ihrer „Welt-Anschauung" beim Zeichnen,
Malen und Plastiken. Der Grundgedanke ist nämlich, „in allem bild-
haften Gestalten geht es nicht um die naturalistische „Wiedergabe"
eines Netzhauteindruckes (entspr. einem Photo!), sondern um die
Symbolfindung durch Denken und Formen. Abzeichnen eines Gegen-
standes ist keine Gestaltung, sondern eine „Messungsaufnahme". Ge-
stalten heißt: eine Form finden für ein bewußt Gesehenes, und
Formfinden ist nichts anderes als eben ein Denken
über Formen" (S. 174/5). Das Kind und der einfache Mensch
können also etwas schaffen, das innerhalb ihrer Eeistesstufe einen
wahren künstlerischen Wert, einen künstlerischen Darstellungswert, hat.
So begründet Geist das leicht anzuerkennende Entwicklungsgesetz des
ehrlich sich abmühenden Formschaffens — und zerstört zugleich die Be-
hauptung, daß 99 Prozent des Volkes zu keinem eigenen Kunstschaffen
fähig seien. Der bejahende Beweis wird im ersten Abschnitt des
Buches erbracht und durch eine große und gut ausgewählte Reihe von
Bildern vor Augen geführt.
Im zweiten Abschnitte werden die Beziehungen zur Volkskunst
behandelt. Die Gestaltungskräfte in der Volkskunst sind die gleichen
wie die beim Kinde und Laien; die „Bindungen" an Umwelt, Brauch-
tum und Leben müssen also in ihren Äußerungen verwandte Ergeb-
nisse hervorbringen. Diesen, für die „Neubelebung" wichtigen Formen-
vergleich versteht H. F. Geist ausgezeichnet nach den verschiedenen Rich-
tungen hin zu entwickeln. Dadurch wird die Tatsache erkenntlich, daß
Volkskunst und volkstümliches Kunstschaffen der Gegenwart eng mit-
einander verwandt sind, daß beide aber die Voraussetzung sein müssen
für die hohe Kunst; denn diese hat (wie die Volkskunst) als Grund-
lage die formschöpferische Veranlagung des Volkes, aber sie ist gleich-
zeitig das überragende Werk außergewöhnlich veranlagter Meister. —
Aus diesen, im ersten und zweiten Abschnitt besprochenen Grund-
gedanken werden im dritten, dem wichtigsten Abschnitt des Buches für
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dem Volk. Ein Buch von der Kunst des Volkes und ihrer Betäti-
gung im Schaffen des Kindes als Beispiel praktischer Volkstums-
arbeit,
Mit 126 Abbildungen und reichem Buchschmuck; Verlag E. A.
Seemann, Leipzig, 1934, RM. 4,75; Leinen RM. 6,—.
Dieses Buch von H. F. Geist zerstört endlich einmal die land-
läufige Meinung, alles Kunstschaffen sei nur der kleinen Schar wirk-
licher Künstler möglich oder gar Vorbehalten. Das Buch beweist mit
großer Sorgfalt und liebevoller Mühe das Gegenteil. In allen
Schichten des Volkes herrscht eine natürliche und starke Schaffensfreude;
diese lebendige Schaffensfreude ist die Quelle jeder Laienkunst und
vor allem die Triebfeder im einfachen, unbekümmerten Abmühen der
Kinder um die Darstellung ihrer „Welt-Anschauung" beim Zeichnen,
Malen und Plastiken. Der Grundgedanke ist nämlich, „in allem bild-
haften Gestalten geht es nicht um die naturalistische „Wiedergabe"
eines Netzhauteindruckes (entspr. einem Photo!), sondern um die
Symbolfindung durch Denken und Formen. Abzeichnen eines Gegen-
standes ist keine Gestaltung, sondern eine „Messungsaufnahme". Ge-
stalten heißt: eine Form finden für ein bewußt Gesehenes, und
Formfinden ist nichts anderes als eben ein Denken
über Formen" (S. 174/5). Das Kind und der einfache Mensch
können also etwas schaffen, das innerhalb ihrer Eeistesstufe einen
wahren künstlerischen Wert, einen künstlerischen Darstellungswert, hat.
So begründet Geist das leicht anzuerkennende Entwicklungsgesetz des
ehrlich sich abmühenden Formschaffens — und zerstört zugleich die Be-
hauptung, daß 99 Prozent des Volkes zu keinem eigenen Kunstschaffen
fähig seien. Der bejahende Beweis wird im ersten Abschnitt des
Buches erbracht und durch eine große und gut ausgewählte Reihe von
Bildern vor Augen geführt.
Im zweiten Abschnitte werden die Beziehungen zur Volkskunst
behandelt. Die Gestaltungskräfte in der Volkskunst sind die gleichen
wie die beim Kinde und Laien; die „Bindungen" an Umwelt, Brauch-
tum und Leben müssen also in ihren Äußerungen verwandte Ergeb-
nisse hervorbringen. Diesen, für die „Neubelebung" wichtigen Formen-
vergleich versteht H. F. Geist ausgezeichnet nach den verschiedenen Rich-
tungen hin zu entwickeln. Dadurch wird die Tatsache erkenntlich, daß
Volkskunst und volkstümliches Kunstschaffen der Gegenwart eng mit-
einander verwandt sind, daß beide aber die Voraussetzung sein müssen
für die hohe Kunst; denn diese hat (wie die Volkskunst) als Grund-
lage die formschöpferische Veranlagung des Volkes, aber sie ist gleich-
zeitig das überragende Werk außergewöhnlich veranlagter Meister. —
Aus diesen, im ersten und zweiten Abschnitt besprochenen Grund-
gedanken werden im dritten, dem wichtigsten Abschnitt des Buches für
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