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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 5/6
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Herrmann, Max: "Unser" Zille
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Forster, Herbert: Bruno Krauskopf
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0018

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„UNSER” ZILLE
VON
MAX HERRMANN (NEISSE)

Schönster Erfolg eines Künstlcrdaseins und
stärkste Bestätigung für den Wert einer Leistung
ist die Popularität. Ich meine nicht die billige, mit
Niveauloligkeit und Geschmacksverrat erkaufte,
londern jene echte, die Allgemeinverständlichkeit,
Einfachheit, Gradheit eines bedeutenden Werkes,
menschliche Zuverlässigkeit und persönlichen Reiz
seines Schöpfers verbürgt. Beliebt und geachtet bei
Anspruchsvollen und Schlichten, vom Volke mit
dem zärtlich stolzen Prädikat „Unser“ bedacht —
solchen raren Ruhm hat wohlverdienterweise längsl
Heinrich Zille. Er ist einer der wenigen, die als
Künstler und als Mensch ganz original sind, eine
besondere, markante Nummer darstellen. Ein un-
bestechlich scharfer Beobachter des Alltags, der un-
mittelbaren, mulmigen, wimmelnden Umwelt ist
er, der den Bestand der Gegenwart ebenso wahr-
heitsgemäß wie kritisch aufnimmt. Der Träger
einer zwecksicheren, gesinnungsvollen Sachlichkeit,
der an der rechten Stelle zupackt. Kein Tüftler
und Atelierphantast, sondern ein Mann, der auf
die Straße geht und sich sehr genau ansieht, was da
passiert. Dabei ein handwerklich solider, im Me-
tier sicherer Meister, kein Scharlatan und Schlu-
derer. Und einer, der mit seiner gutfundierten
Kunst lieh der Sache der Mißbrauchten und Ver-
achteten annimmt. Nicht von oben herab und
nur so von außen durchs Fenster in ihre Not schie-
lend, sondern mit ihnen intim, vertraut mit allen
Kleinzügen ihrer. Jammerexistenz, ihren Schreck-
niss'en, Leiden, Aengsten, aber auch ihren dürf-
tigen, minderwertigen Vergnügungen, Betäubungen

und Exzesten. So gibt es eine liebevolle Gesamt-
inventur des armen Volkes, ein zuverlässiges Do-
kument, das den sinnfälligsten Anschauungsunter-
richt bietet über das Leben und die Gebräuche der
unteren Schicht. Da tut sich Zilles Welt auf, „sein
Milljöh“, wo er seine, so gern erzählten, von Wirk-
lichkeit slrotzenden Erlebnisse hat, die Welt der
Keller, derbstinkenden Wohnställe, der garstigen,
finsteren Höfe, der Abfallgruben, der Kaschemmen.
Und Zilles Bild dieser Welt ist auch historisch voll-
zählig: enthält ihre noch halbwegs gemütliche Dürf-
tigkeit um 1900 herum, enthält die Leiden der
Kriegs- und Hungerzeit, enthält unbeschönigt die
ganze Unzulänglichkeit der heutigen, angeblich re-
publikanischen Zustände. Als eine besondere Art
Menschendichter und Lebensglossierer zeigt sich
Zille auch in den Zeilen, mit denen er die meisten
Zeichnungen versicht und die stets die Gabe der
haarscharf zutreffenden Pointe haben, manchmal
voll köstlichen, gutmütigen Mutterwitzes sind,
manchmal ätzend bis zu Swiftscher Schärfe. Wenn
ich im lyriiehen Gedicht Stimmungen, Kulislen,
Figuren der Außenseiterwelt zu gestalten versuche,
im Drama der vogelfreien Menschen Lokalitäten
und Art, in der Prosaerzählung etwa eines Bier-
kutsehers Alltag oder einer Kellnerin ramponiertes,
zerrupftes Dasein, fühle ich mich dankbar verbun-
den, in der Gesinnung eins mit dem handwerklich
und menschlich zuverlässigen Meister Zille, dellen
gefertigtes Können auf meinem Gebiete zu er-
langen, mir Ansporn und leider immer noch weit
vom Ziel bemühte Sehnsucht ist.

BRUNO KRAUSKOPF
VON
HERBERT FÖRSTER

Bei jedem Versucfi, die geistige und künstlerische Nach-
folgerschaft des genialen Lovis Corinth zu bestimmen, slößt
man zuersl auf den Namen und das Werk von Bruno
K r a u s k o p f. Er ist der geistige Nachfolger durch das
Fehlen jedes intellektualisierenden Moments in seinen Ar-
beiten, der künstlerische durch das Undogmatische in seiner
formalen und farblichen Gestaltung, und ist außerdem so
eigenartig selbständig, daß dieser Vergleich niemals den Ge-
danken einer nur kopierenden Nachfolge aufkommen läßt.
Im Gegenteil hat dieser aus Westpreußen slammende und
seit 1917 der Berliner Sezession angehörige Künstler ein

besonderes Furioso in seiner Malerei, das außergewöhnlich
feinnervig Stimmungen aus dem Auftrag und der Verwendung
der Farben hervorzuzaubern vermag. Rein aus sicherer und
direkter Erfassung, ohne ängstliche Bindung an das Objekt
und mit der imponierenden Sicherheit des geborenen Malers
treten diesc selbstwilligen Kräftespiele in die Erscheinung.
Als Visionen und zugleich als blutvollstc Erfassungen, als
positive malcrische Werte und als Welt einer schöpferisch
unermüdlichen Natur, solcherart das Kennzeichen eines mal-
künstlerisch großen und lebendigen Geistes.

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