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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 5/6
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Spiegel, Ferdinand: Wir - unter uns!
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0027

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WIR — UNTER UNS!
VON
FERDINAND SPIEGEL


FERDINAND SPIEGEL

BAUER

Die größte Versammlung — die größte einheitliche Ver-
sammlung von Malern, Bildhauern und Architekten, die es
je gegeben hat, fand wohl 1919 im Deutschen Theater in
München statt. Es muß so im Januar gewesen sein. Aber
da war auch alles gekommen, was nur irgendwie mit Pinsel,
Meißel, Winkel und Reisschiene zu tun hat.
Da tauchten Leute — Kunstmaler auf, die mir seit den
unseligen Prüfungstagen der Akademie nimmer über den
Weg gelaufen waren. Da kamen Samtröcke — lange Haare
— „Lavallje'Tchleifen — etwas, das die Generation vor uns
schon nicht mehr gekannt hatte. Da tummelten sseh Künst-
ler, denen die Kathi Kobus noch als Kind Akt geslanden
hatte. Alles war da — berühmte Namen — serienweise
saßen nebeneinander. . . .
Prachtvolle Programme und Forderungen wurden ver-
lesen —: „Der freischaffende Künstler soll vom Staat er-
halten werden (Wie hoch die Rente war, weiß ich nimmer
genau, aber sie hätte uns zuerst genügt), Plastiken müssen
in großer Zahl die Straßen und Plätze, den Hofgarten und
den englischen Garten bevölkern. (Um die besten und
schönsten Plätze hatte es vorher schon tagelang Auseinander-
setzungen gegeben.) Bäume-Parks sind zu schlagen, damit es
Platz für Bildwerke, Architektur und andere Kunstwerke

gibt. (Der vorhandene Raum hätte unmöglich ausgereicht
usw., usw.) Es war eine Lust zu leben und Künstler zu
lein! Alle, alle — fast alle — waren sseh einig —wenigstens
für die nächste halbe Stunde.
Wie gesagt, die Versammlung war feierlich eröffnet, das
Programm mitgeteilt, und droben auf der Bühne hockten
am langen Tisch, wie die Jünger beim Abendmahl, das
Komitee. . ..
Ja, und dann ist’s so gegangen, wie es bei Künstlerver-
sammlungen immer geht! Die Diskussion ging an: „der hat
recht“ — „und der auch“ — „und der erst recht“! Ein paar
Zwischenrufe: Pardauz war der Krach fertig und beherrschte
den Abend. Zeitweise war der Ausdruck „Rindvieh“ noch
die zarteste parlamentarische Bezeichnung! Gute wie schlechte
Vorschläge gingen im Tumult unter. Immer stand ein Redner
oben, immer schwang er die Arme bittend, drohend, ver-
zweifelt — niemand hörte ihn im brandenden Orkan der
Meinungsverschiedenheiten!
Einer ging nimmer herunter — blieb und blieb. Da wurde
es auf einmal still. „Wer sind denn Sie Hans Wurst da
droben?“ riefen viele. „Ich — ich — bin der Reorganisator
des gesamten deutschen Städtebauwesens“! In den tobenden
Lachsalven ging endlich auch dieser bescheidene Knabe unter.
Alles rumpelte hoch.. ..
Händeklatschen — Pfeifen — Bravo — raus — Schluß
— hoch! Der Diktator Eisner war eingetreten und hatte
auf der Bühne am Tisch Platz genommen. Die Abendmahls-
jünger gestikulierten mit roten, dann mit blauroten, und
jetzt, nach ein paar Stunden, mit violetten Köpfen — hoff-
nungslos. —
Später marschierte der Eisner kopfschüttelnd wieder ab.
Lange, lange schon dauerte unsere Versammlung. Ich saß
mit ein paar Freunden so eigentlich am Rand des Saales in
einer der letzten Reihen. Bereits seit einiger Zeit war mir
eine Anzahl vornehm aussehender Herren aufgefallen, die
ruhig und distinguiert den Verlauf unserer Versammlung
verfolgten. Es war spät und immer später, der Krach
größer und immer größer geworden — und immer mehr
distinguierte, vornehme, ruhige Herren hatten sseh hinter
uns aufgestellt. Unter uns hier waren markante ernste
Köpfe, rasssg temperamentvolle Kerle. Aber nobler, feiner
wirkten die Neuangekommenen. Da faßte ich mir ein Herz:
„Entschuldigen Sie, sind Sie auch Künstler?“ „Ah, woher
denn“, antwortete der, liebenswürdig lächelnd mit der Hand
abwehrend, „ah, woher denn — wir warten nur, bis Ihre
Versammlung aus ist — dann beginnt die unsere. Wir sind
Mitglieder des Vereins der Gastwirtsangestellten!“ Es waren
Kellner, Schankkellner usw.!
„Aha!“ sagte ich.
„Ja, ja“ dachte ich mir ...., sah mich und meine Ver-
sammlung an .... und dachte noch so allerhand dazu.

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