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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Gert Wollheim

Der Landstreidler (Oel)
Prinatbesih: Galerie Wiltschek


Ernst Wekenflein

Herrenbildnis (Oel)

NÄCHTLICHE SITZUNG
Schon als junger Mensch hatte ich vor Malern eine un-
erhörte Ehrfurcht, weil ich jeden Menschen bewunderte, der
imstande war, einen geraden Strich zu machen, oder einen
Kreis zu ziehen, oder etwa gar jemand abzukonterfeien,
oder gar aus dem Gedächtnis Himmel und Waller, Land
und Berge wiederzugeben. Am meisten imponierten mir
aber doch die Porträtmaler. Obwohl ich, wie man so zu
sagen pflegt, gar nichts von der Malerei verstand, fühlte
ich doch instinktiv, wer berufen war, Porträtist zu sein und
wer nicht.
Als selbstverständliche Forderung verlangte ich natürlich
eine vollkommene Ähnlichkeit des Bildes mit dem Original,
denn beim besten Willen war es mir
nicht möglich, bei einem Porträt von
— ich wähle absichtlich Pseudonyme —
Chagall, das eine kaputte und ge-
vierteilte Violine darstellt, das Porträt
von . . ., na, sagen wir Katharine
von Oheimb zu entdecken, denn die-
ser Titel stand unter dem Bild. Dar-
über hinaus aber fühlte ich doch das
Menschliche, das Seelische, das in dem
Porträt lag. So entsland in mir der
Wunsch, auch einmal gemalt oder
wenigstens gezeichnet zu werden. Aber
niemand erbarmte sseh meiner, bis
anläßlich meines 25 jährigen Jubiläums
die mir bekannten Künstler der Pa-
lette und der kalten Nadel Interesse

VON WILLY SCHAEFFERS
für mein nicht gerade originelles Gesleht zeigten. Und so ge-
schah es im Jahre des Heils 1928, daß eines Abends zu sehr
vorgerückter Zeit bei Schwanneke (ja, wo denn sonst?) eine
lustige Schar von slark angeheiterten Malern mit großem Radau
und Lärm eine Box besetzten und eine Bowle nach der andern
verzapften. Um die Koslen dieser Bowlen zu decken, konnte
sich jeder Gast mit drei Mark beteiligen, wofür ihm eine
Porträtzeichnung von einem der fünf Künstler an Ort und
Stelle angefertigt wurde. Und bei Gott, fast alle waren
ähnlich. Mich faßte der Neid! Sollte jetzt nicht der große
Moment kommen, wo ich auf billige Weise von einem
namhaften Maler gezeichnet würde? Und ich klimperte laut
mit den Resten meines letzten ä Contos,
und siehe da, Ernst Fritsch, der
gerade frisch Preisgekrönte, erblickte
mich mit zugekniffenen Augen, und
alles andere war das Werk weniger
Minuten. Ich saß am Tische als be-
kannter und anerkannter Mäzen und
merkte bald, daß die Maler auch nicht
einen Pfennig bei sich hatten und die
Zeche subskribiert werden mußte
(alles Mitglieder der Künstlcr-Selbst-
hilfe). Mein bibliophiles Herz be-
stellte Nr. 1 der aufgelegten Sub-
skription, was einem Preis von sagen
wir vier mal drei Mark entsprach,
worauf ein Wettzeichnen sämtlicher
fünf Maler vom Stapel lief. Sieger


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