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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 5/6
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Weissmann, Adolf: Der Maler und der Musiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0024

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DER MALER UND DER MUSIKER
VON
PROF. DR. ADOLF WEISSMANN

Malerei und Musik gelten als Schwesterkünste.
Wie es aber bei Schwcstern zuweilen geschieht:
sie vertragen sich nicht immer.
Es ist Binsenweisheit, daß der Maler viel eher
etwas von Musik verlieht als umgekehrt. Dabei
ist es doch gewiß, daß für gewilse Musiker Ton-
vorstellungen von Farbvorstellungen untrennbar
sind.
Da das Material der beiden Künste verschieden
ist, da die eine im Raum, die andere in der Zeit
wirkt; da eine Außenwirkung einer Innenwirkung
entgegengesetzt ist: aus allen diesen Gründen
icheint es selbstverständlich, daß die so oft behaup-
tete Verwandtschaft zwischen Malerei und Musik
keine Blutsverwandtschaft ist.
Und doch widerstrebt es uns, ihre Bindung zu
leugnen.
Der Musikant ist ganz gewiß von malerischen
Vorstelhmgen völlig unberührt. Je weiter aber die
Musik in der Kultur vorrückt, desto inniger ver-
knüpfen sich Färb- und Klangvorstcllungen. Der
Ton, der sich an das Wort bindet, ihm vielmehr
folgt, gibt seinem Drang, sich malerisch zu be-
tätigen, nach. Natürlich ist es nicht der Ton an
lieh, sondern seine Vereinigung mit anderen, die
so wirkt. Aber das in den Worten enthaltene
Bild will seinen Gleichklang in Tönen. So wird die
Bewegung nachgeahmt. Tonmalerei taucht darum
schon sehr früh in der Musik auf. Die Oper bringt
neue Asioziationen. Die malende Musik wird zur
Selbstverständlichkeit. Die Kunst, die von innen
kommt, wird immer wieder zu einem Vertrags-
verhältnis mit der Wirklichkeit getrieben; sie muß
sich veräußerlichen. Ihre tiefe Symbolik wird ins
allzu Handgreifliche umgewertet.
Im neunzehnten Jahrhundert, im Zeitalter der
Romantik, wird der Bund zwischen Musik und
Malerei scheinbar besonders eng. Die Klangfarbe
greift tief in die Substanz der Musik ein. Man
schwelgt in Orchesterfarbe. Musikdrama, Pro-

grammusik und das Makartische, das heißt: der
süßeste Kitsch leben im Bunde miteinander. Die
Wagnersche Szene weiß davon zu erzählen.
Während noch Farbe im Orchester sich aus-
tobt, ist es in der Malerei bereits Impressionismus
geworden. Was geschieht nun? Ein Musiker, der
Wagner überwinden will, Debusty, leitet das ein,
was man musikalischen Impressionismus nennt.
Aber Musik kann von Reflexen nicht leben.
In Deutschland jedenfalls nicht. So darf sich denn
in der Musik das Makartische, das Kitschige noch
weiter entfalten und im Straußischen steigern.
Es wird Kunstrevolution, noch bevor es wirk-
lich Revolution wird. Es lebt ein Arnold Schön-
berg, der begabt Bilder malt, zugleich aber die
Grundmauern der Musik niederzureißen im Be-
griff ist; ein Igor Strawinsky, den der optische
Reiz der Ballettbühne ungeahnt anregt.
Als es wirklich Revolution wird, dürfen sich
alle Ismen der Malerei in der Musik austoben.
Diese, sonst gewohnt, der Schwesterkunst nach-
zuhinken, hat plötzlich ein zeitgemäßes, rasendes
Tempo angenommen. Die Musiker scheinen auf
einmal malerische Weisheit mit Löffeln gegessen
zu haben. In der Novembergruppe findet man
sich zusammen.
Stümpernde Mitläufer: das ist ein Nebenergeb-
nis des gemeinsamen Kampfrufes, der gemein-
samen Schlagworte.
Nun werden sie beide, Maler und Musiker, ab-
lolut; auch Verfechter der neuen Sachlichkeit;
die allerdings, für die Musik, das Malerische aus-
schließt.
Blutsverwandtschaft oder nicht: die einen
können ohne die anderen nicht mehr bcstchen.
Aber es wäre ganz gut, wenn beide sich auf die
eigenen Bedingungen ihrer Kunst besännen. Male-
rei und Musik sollten sich von Zeit zu Zeit freund-
lich zuwinken, sich gelegentlich verlieben, nie
aber verheiraten.

Die Mutter der nützlichen Künste ist die Not; die der
schönen, der Ueberfluß. Zum Vater haben jene den Ver-
stand, diese das Genie, welches selbst eine Art Ueberfluß
ist, nämlich der der Erkenntniskraft über das zum Dienste
des Willens erforderliche Maß.
Schopenhauer.

Die Zukunft gibt immer den Schaffenden recht. Die
Schaffenden geben immer der Zukunft recht, aber niemals
der Gegenwart, die für sie immer schon Vergangenheit ist.
Sie stürzen die Vergangenheit auch nicht mit frevelnden
Händen um, sondern mit feierlichen Werken; und die
Gegenwart gibt ihnen niemals recht. Franz Marc.

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