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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 5/6
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Behne, Adolf: Kunst als Waffe
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0023

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KUNST ALS WAFFE
VON
DR. ADOLF BEHNE

Der revolutionäre Tendenzfilm „Potemkin“
war ein ungeheuerer Erfolg, auch bei den politischen
Gegnern. Er trug seine revolutionäre Tendenz in
alle Schichten, in alle Kreise, und welches waren
seine Flügel? Seine künstlerischen Qualitäten.
Der „Potemkin“, von einem schwächeren Re-
gisseur gedreht, wäre bei vielen Hunderttausenden
auf Widerstand gesloßen, die sich jetzt seiner Ten-
denz gar nicht entziehen konnten. Die Tendenz
eines künstlerisch schwächeren„Potemkin“ wäre ge-
nau dieselbe wie die des starken „Potemkin“, aber
seine politische Wirkung wäre sehr viel geringer.
Es scheint mir also der Satz falsch, daß Ten-
denz die Kunst stark mache. Der Grad der reinen
künstlerischen Vollkommenheit entscheidet über
die Stärke eines Kunstwerks und macht es fähig,
seine Tendenz in alle Gehirne zu tragen.
Nicht wird das Kunstwerk von der Tendenz
getragen, sondern die Tendenz vom Kunstwerk.
Jedes künstlerische Minus im „Potemkin“ hätte
einen kleineren Radius seiner politischen Wirksam-
keit, seiner Aktivität bedeutet. Sollte man daraus
nicht den Schluß ziehen, daß jeder, der eine Ten-
denz durch die Kunst vorantragen will, dieses
Wesen „Kunst“ sehr ernsthaft respektieren und
vor allem sehr ernsthaft studieren müßte? Genau
io, wie derjenige, der politische Flugblätter vom
Aeroplan abwerfen will, gut tut, die Maschine zu
respektieren und zu studieren?
Man würde über ihn lächeln, wenn er behaup-
tete, die Tendenz seiner Flugblätter würde den
Apparat schon tragen, aber merkwürdigerweise
wird derjenige oft noch ganz ernst genommen,
der da behauptet, die Tendenz seines Bildes werde
die Kunst schon hochbringen.
Es bedeutet einen inneren Widerspruch, die
Kunst als Waffe nutzen zu wollen (was sehr richtig
ist) und sie gleichzeitig als „erledigt“ zu erklären.
Wenn Kunst nicht etwas sehr Lebendiges wäre,
könnte sie bestimmt niemals kämpfen. Nur daß sie
stark ist, kann sie als Waffe begehrenswert machen.
Wenn Kunst eine Waffe sein kann, so ist die
bcssere Kunst die belsere Waffe, und die beste
Waffe ist dann notwendig die beste Kunst.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder man
sieht die Kunst als eine erledigte, biirgerlich-ästhe-
tische Sache und als Schwindel an. Dann handelt
man richtig, wenn man sie verrecken läßt. Oder
i

aber, man macht von der Kunst Gebrauch. Dann
aber tut man gut, ihr auch wirklich die letzten
ihrer Möglichkeiten zu entreißen.
Eine bloße Injektion von Politik macht die
Kunst weder belser noch schlechter und auf gar
keinen Fall lebendiger oder unbürgerlicher, auch
nicht einmal politisch aktiver, so wenig rot ge-
färbter Benzin den Motor schneller macht. So wie
ich auf den Motor nur Einfluß gewinnen kann
durch das richtige, mit allen seinen Finessen ver-
traute Spiel auf seinen Organen, so gewinne ich
auf die Kunst nur durch richtiges Spielen auf ihren
Organen Einfluß.
Radfahren wird ja auch nicht dadurch zur
Kunst, daß einer, der mittelmäßig strampelt, eine
Goethebiiste auf die Lenkstange aufmontiert. Er
tut belser, den Organismus des Rades zu studieren,
ihn ebenso theoretisch wie praktisch zu beherr-
schen. Diejenigen nun, die den Organismus Kunst,
gerade um ihn zur besten Waffe zu machen, theo-
retisch und praktisch-experimentell studieren, be-
kommen von den „Politischen“ leicht zu hören:
laßt diese ästhetischen Tüfteleien, wir brauchen
keineAteliergeschichten, sondern mitreißendeArbeit.
Sehr richtig, aber auch der „Potemkin“ ist, ehe
er auf der offenen See gedreht wurde, in einem
Atelier bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet wor-
den, gleichgültig, wie dieses Atelier aussah, gleich-
gültig, ob das Atelier vielleicht nicht größer war
als das Gehirn Eisensteins. Nur, weil Eisenstein
eine so bewundernswerte Kenntnis aller ästhetischen
und optischen Wirkungen und Wechselwirkungen
hatte, wurde das endgültige Werk so hinreißend.
Politik ist etwas sehr Wichtiges. Politische Ge-
sinnung ist etwas, das wir von jedem anständigen
Menschen verlangen. Aber ein Ersatz für intimste
Beherrschung künstlerischer Mittel kann sie wirk-
lich nicht sein. Darum muß gerade derjenige, der
die Kunst als Instrument des menschlichen Fort-
sehritts und als Waffe im Befreiungskrieg ansieht,
Wert darauf legen, daß ihre Wirkungsgesetze jetzt
nicht weniger studiert werden als es im Bereich
snobistischer Kunstübung geschah, sondern noch
sehr viel mehr.
Deshalb haben jene sehr Unrecht, die das
Studium der Kunst in allen ihren elementaren Zu-
sammenhängen als „nutzlos“, als „bürgerlich“ oder
als „quietistisch“ verdächtigen.
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