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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 7
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Nohl, Johannes: Die asconische Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0055

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DIE ASCONESISCHE LANDSCHAFT
VON
JOHANNES NOHL

Merkwürdig geschloslen ist die Landschaft Asconas, daß
lieh hinter dem italicnischen Cannobbio, dellen Lichter
abends traumhaft herüberwehen, der See noch einmal un-
geheuer ausdehnt. — Dort beginnt erst die Traumszenerie
Jean Pauls mit Isola Bella und Isola Madre — man weiß es
nur, aber man fühlt es nicht. Der Ascona-See bildet mit
der gigantischen Mauer seiner Berge eine Welt für sich,
eine Welt, deren Frieden man nur mit dem der Kloster-
klausur vergleichen kann. Diese geheimnisvolle überaus
konzentrierende Geschlollenheit erklärt vielleicht den un-
widerstehlichen Bann, den diese Landschaft auf so viele be-
sinnliche und religiös veranlagte Menschen ausübt. Für den
nordischen Menschen kommt noch als besonderer Reiz hin-
zu, daß sich hier nördliche und südliche Formelemente selt-
sam verbinden.
Der Lago Maggiore ist die geistigste Landschaft, die ich
kenne. Nur nach ganzen Masien erteilt sie die Eindrücke,
und d<?r nach Motiven suchende Malerdilettant wird in ihr
kaum auf seine Rechnung kommen. In Ascona, wie in den
auf halber Höhe gelegenen kleinen Dörfern, die wie
Schwalbennester sich den stahlgrauen Felsen ansehmiegen,
geschieht nichts von Belang. Die Ereignisse des Jahres sind
das Blühen des Flieders und des Pfirsichs im Frühling, das
Blühen der Mimosen und der Kamelien im Sommer, die
Weinernte im Herbst, und an den verschiedenen Heiligen-
tagen die Prozessionen der katholischen Kirche, wie sie Mari-
anne von Wereffkin so einzig schön festgehalten hat. Alles
aber nimmt bewußt oder unbewußt teil an dem Lichtmeß-
fest, das die Natur hier täglich begeht. Die Prozession des
Lichtes, das morgens über die Berge steigt, jede Stunde des
Tages mit neuen Psalmen den Schöpfer preist, um abends,
wenn die Berge wie Ametysten glühen, in purpurner Lohe
hinzusterben, bildet das eigentliche Geschehen des Tages.
Der Morgen ist von einer Reinheit der Konturen, wie
man sie sonst nur im Hochgebirge kennt. Wundervoll sind
die Spiegelungen der Wolken und flatternden Berge im
blauen See. Mittags strömt das Licht vom Himmel in lieben-
der Verschwendung. Die mit unterdrücktem Jauchzen
blühende Natur feiert den ewigen Geburtstag Gottes, und
alles ist umwittert von höchster Gegenwart. Ist der Mittags-
schauder überwunden, so glüht die Erde noch lange, als ob
die Götter auf ihr geschlummert hätten. In unersättlichem
Lichtdurst zücken die Agaven ihre breiten grünen Schwerter.
Die Luft schwingt elektrisch, und die brennenden Falter
taumeln honigbeladen. In der dritten oder vierten Nach-
mittagsstunde suchen die Künstlereremiten Asconas Kühlung
am See oder unter den Wasserfällen. Der Weg dorthin führt

durch stäubendes Rebengelände. Höher hinauf drängen sich
zwischen dem braunen Gestein Brombeeren und Wachholder,
blühendes Heidekraut und die gelbe Lohe des Ginsters. Aus
allen Ritzen der brennenden Felsen glänzen die blauen Aeug-
lein raschelnder Eidechsen. Plötzliche Kühle und stärkeres
Brausen melden die Nähe des Waslerfalls. Noch über einen
schwanken Steg und von unbesteigbarer baumumhangener
Felswand stürzen die unbändigen WasTer. Die erdentblößten
schwarzen Wurzeln der Kastanien zu beiden Seiten tropfen
und rinnen wie bei ewiger Schneeschmelze. Buschhohe
Farren, Schachtelhalme und wilde Alpenveilchen umstehen
die natürliche Felsenwanne, die von weißem Gischtschaum
überkocht. Durch den blitzenden Nebel des Waslerfalls sind
die sieben Farben des Regenbogens geschlungen, und silber-
graue und grüne Libellen schwirren bald steigend bald
sinkend in dem rötlichen Duft. In einer zweiten tiefer-
gelegenen zackigen Schale wogt das WasTer noch wild ver-
langend und doch schon gebändigt. In einer dritten Schale
strömt es still, und spiegelst du dich in ihm, so ist, als ob
der Geist der Natur mit sdhöpferischer Innigkeit und Fülle
uralt und urjung aus deinen Augen schaue.
Die Abenddämmerung dauert lange und die feinen Ab-
tönungen der farbigen Schatten sind nicht zu zählen. Mit
dem Aufgang des Mondes beginnt ein südlicher Zauber ohne
gleichen. Die von ihm wie von einem Katarakt weiß über-
stäubte Landschaft wird zur Vision, und die Chaussee mit
ihren vielen taghell erleuchteten Krümmungen und Vor-
sprüngen scheint ein Wandelgang seliger Geister. Im Früh-
jahr schluchzen hunderte von Nachtigallen aus dem Funken-
nebel der grüngoldenen Birken und Kastanien und im
Sommer tönt unablässig bis zum Morgen die Musik der
Grillen, während die Luft warm und beseelt wie aus den
Nüstern eines großen Tieres bläst. Fast noch zauberhafter
sind die mondlosen gesilmten Nächte. Die ebenholzschwarzen
Berge wirken dann wie Denkmäler himmlischer Katastrophen
und ungeheurer Engelstänze. Jeder einzelne Stern, der sieg-
reich über sie dahinzieht, spridht seine eigene Sprache, und
man lernt das Gebet des Schweigens, das Gebet der
Einfachheit.
Mehr als einer der nordischen Gäste Asconas ist an der
Größe dieser Landschaft zugrundegegangen. Wer sich dem
gewaltigen Rhythmus nicht hinzugeben vermag, weil Eigen-
wille und gehirnliche Reize ihm noch Werte zu sein scheinen,
der flieht besser in die Stadt mit ihren tausend Einzel-
vorgängen zurück. Leicht aber wird Ascona dem zur zweiten
Heimat, der den Geist der Betrachtung in sich pflegt, nicht
zuletzt dem Maler, der für seine schweigsame stille Kunst
alle nur erdenklichen Anregungen erfährt.

KURHOTEL MONTE VERITÄ, ASCONA
GRÖSSTER NATURPARK IM TESSIN
I. HAUS AM PLATZE

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