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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 10
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Schwabinger Bachanale
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0155

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SCHWABINGER BACHANALE

haben Peter Scher „München. Was nicht im Baedeker steht“,
Buch herausgegeben dem wir die folgende amüsante Schilderung entnehmen.

Im Verlag R. Piper & Co.
und Hermann Sinsheimer ein
Wenn die Schwabinger Maler schon im Sommer nicht
zum Malen kommen, weil einesteils der Sonnenkult ße ab-
hält und andernteils doch kein Mensch nach einem Bilde
verlangt — wie Tollten sie in der rauhen Jahreszeit dazu
kommen, wo sie vormittags von den Strapazen nächtlicher
Sitzungen ausruhen müllen und am Nachmittag kein Licht
mehr haben?
Indessen gibt es Schwabinger Kunstprodukte — man lalle
sich als Fremder nicht abschrecken, sich gelegentlich als
Mäzen zu kostümieren. Niemand scheue davor zurück, vier
Treppen hoch zu steigen, denn einmal oben, wird man als
Zugereister von distinguiertem Aeußeren um jeden Preis —
den man noch dazu nicht einmal zu zahlen braucht — zu
einer jener bacchantischen Veranstaltungen eingeladen wer-
den, die sich unter dem Namen Atelierfcste in der Provinz
eines mit angenehmem Gruseln verbundenen Ansehens er-
freuen.
Hat sich je ein Mensch aus einem Nachschlagwerk zu-
verlässig informieren können, wie ein Schwabacher Bacchanal
beschaffen ist?
Keineswegs. Denn warum?
Ein Schwabinger Bacchanal ist überhaupt nicht be-
schaffen; es ist ein durch Harmlosigkeit entwaffnender Ver-
such, sündhaften Überschwang vorzutäuschen. Auf der Basis
mehrerer am Boden nebeneinander gerückter Matratzen und
zwanglos verstreuter Kopfkisten pflegt sich unter Personen
beiderlei Geschlechts eine Debatte über Vorschußmöglich-
keiten zu entwickeln, die im Falle hinreichender Alkohol-
zufuhr möglicherweisc bis zu jenem turbulenten Höhepunkt
gesteigert werden kann, der bei Turnvereinsfeiern in
Langensalza oder Bunzlau eben noch als orgiastisch emp-
funden wird.
Der Fall, daß zugereiste und als Mäzene kostümierte
Fremde bei Atelierorgien in ihrem
sittlichen Bewußtsein so weit geschädigt
wurden, daß sie in kopfloser Verwirrung
zum Ankauf eines Bildes schritten, ist
seit Jahren nicht vorgekommen. Eine
unmittelbare Gefahr, daß der Fremde
sich bei Schwabinger Bacchanalen eines-
teils amüsieren würde und andernteils
diese Beeinträchtigung seines Seelen-
lebens pekuniär zu bereuen habe, be-
licht also keineswegs.
Überhaupt muß sich der Fremde
bei der Bereisung und Erforschung
Schwabings ständig vor Augen halten,
daß an historischen Stätten nicht so
schr die grobsinnliche Freude an der
Erscheinung selbst den sublimen Reiz
ausmacht, als vielmehr die feinsinnige
Reflexion, wie fröhlich alles gewesen
sein mag, als Schwabing noch mehr
war als berühmt.
Zu Schwabings jugendlichsten Er-

scheinungen ist zweifellos Kathi Kobus zu rechnen, die in unent-
wegter Rüstigkeit seit einer Reihe von Jahren ihren siebzigsten
Geburtstag feiert und nicht müde wird, in rührenden Anekdoten
der Zeiten zu gedenken, da Bismarck und Windhorst als schäu-
mende Jünglinge mit ihr im Walzer dahinsehwebten und
Ferdinand Freiligrath als erster im „Simplizissimus“ seine
Gedichte deklamierte.
Man suche Kathi in der Türkenstraße auf, wo man,
von der Theresienstraße herkommend, jenen roten Hund,
den sie einst mit List aus Th. Th. Heines berühmtem Plakat
entlehnte, schon von weitem aufleuchten sleht. Sofern sie
nicht gerade auf dem Podium ein Versehen von Stieler
zirpt, wird sie sich gern bereitfinden lassen, bei einer Flasche
Sekt über Schwabing zu berichten, wie es sich einst um sie
herum gruppierte. Alles, was jemals in München Ruf und
Namen hatte — hohe geistliche Würdenträger etwa aus-
genommen — huldigte dem Geiste Schwabings.
Ist es doch Eingeweihten kein Geheimnis, daß seinerzeit
unter anderen kein Geringerer als Eduard VII. ein Stünd-
chen bei Kathi verbrachte, wobei es zu der historischen
Szene kam, daß sie, auf sein charmantes Getändel in allen
Ehren, aber humorvoll reagierend „Du Böser!“ zu ihm
sagte. Auch nachher sind noch viele hohe und erlauchte
Gäste — alle auf der Suche nach dem berühmten Geist von
Schwabing — in den bescheidenen Räumen Kathis einge-
kehrt. Patriotischen Sammlern kann auf Wunsch ein Ver-
zeichnis der Namen großer Gäste jederzeit angefertigt wer-
den; die gewöhnlichen haben ihre Autogramme an den
Wänden eines abgelegenen Sonderzimmers eigenhändig
hinterlaßen.
Zu den angenehmsten — weil nachweisbarsten — Besitz-
tümern Schwabings gehört der Englische Garten oder doch
der Schwabing am nächsten gelegene Teil desselben.
Im Umkreis dieser vom englischen
Grafen Rumford — der später als Er-
finder einer Kraftsuppe für Soldaten in die
Unsterblichkeit einging — angelegten
Wald- und Wiesenserie, unter roman-
tischen und offenbar noch von Meistern
der altmünchner Schule entworfenen
Bäumen findet in warmen Sommer-
nächten ekstatische Naturbetrachtung
statt, die bisweilen zur Folge hat,
daß die Verkünder der Legende von
Schwabing nicht ganz aussterben.
Ein nächtlicher Rundgang durch
diese Gegenden ist dem Reisenden
anzuraten; er riskiert dabei keinerlei
Gefahr — schon weil die Polizei, die
in München alle sittlichen Belange
doppelt scharf überwacht, von Stunde
zu Stunde die idyllischen Ruhebänke
mit Taschenlampen ableuchtet und die
vorgeschriebeneEntfernung zwischen den
Liebenden mit dem Zollstab nachmißt.

Frist lioehle 1‘riualbesitx: Herr J ulius Freund> Berlin


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