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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 7
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Wels, Grete: Die Metamorphose eines Dorfes
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0043

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NUMMER 7 1928 II. JAHRGAN G
Diele Nummer enthält Beiträge von:
Dr. Otto Brattskoven, E. Brill, Mac Couch, Ernst Frick, Robert Genin, Walter Helbig, Albert Kohler Elie Lasker-
Schiiler, Alfred Richard Meyer, Niemeyer, Karl Nierendorf, Johannes Nohl, Otto van Rees, Chistian Rohlfs,
Schmidt-Rottluff, Rene Schickele, Eckard von Sydow, Grete Wels, Marianne von Wereffkin.

DIE METAMORPHOSE EINES DORFES
VON]
GRETE WELS

„Südlich von Locarno hat man einen Blick in
das Tal der Maggia, die bei ihrer Mündung in den
See ein großes Delta gebildet hat. Weiterhin ist
das weltliche Ufer hoch hinauf mit Landhäusern
und Dörfern besät. In der Ecke Ascona.“ So sleht


im Baedeker zu lesen. Diese Auskunft ist ebenso
mager wie richtig, aber sie betagt nichts. Denn das
Wesen dieses merkwürdigen Dorfes drückt sich
nicht in seiner Erscheiung aus. Es ist nicht nur
eine Tessmer Nest, wie viele, es gibt deren sogar
viel schönere in der näheren Umgebung.

Aber schon das gehört zu dem Außergewöhn-
lichen dieses Ortes, daß er es fertiggebracht hat, als
Dorf an sich fast reizlos zu sein, obgleich ihm die
schönste Landschaft, Berge und Lago Maggiore in
ihrer unendlichen Differenzierung von Blau so be-
reitwillig als Hintergund dienen. Doch ist es nicht
der begeisternde Blick über den See in italienische
Weiten, es sind auch nicht die so wirkungsvollen
Requisiten des Südens wie Mimosen, Kamelien,
Magnolien, Feigen und Oliven, es ist auch nicht die
geräuschvolle Bevölkerung mit der bezaubernden
Höflichkeit des Herzens, die Ascona für den, der
einmal hier war, zu dem Ort, nach dem man sich
sehnt, macht. Es sind Imponderabilien, die hier
eine Atmosphäre geschaffen haben, die Ascona seit
Jahrzehnten zu einem so seltsamen Durchgangs-
und Sammelpunkt für die mannigfachsten geistigen
Strömungen gemacht hat. Was für eine Reihe
außerordentlicher Persönlichkeiten hat Ascona
durchlaufen und jeweils seinen Charakter be-
stimmt.
Selbstverständlich fängt es mit Goethe an. Ehr-
geizige, hier ansässige Fremde, wollen sich eine
klassische Periode Asconas nicht nehmen lassen
und verteidigen mit lokalpatriotischer Begeisterung
die Sage, daß Goethe auf seiner Rückkehr aus
Italien hier genächtigt hat. Sicher hat er, da sich
das Gegenteil nicht beweisen läßt. Doch gibt es
Dokumente in Gestalt marmorner Tafeln, die ver-
bürgen, daß Walter Scott und Shelley dort geweilt
haben.
 
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