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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 8/9
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Siemsen, Hans: Renée Sintenis
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0072

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RENEE SINTENIS
VON
HANS SIEMSEN

Kunst ist nur ein Notbehelf, Wiedereroberung
verlorener Paradiese, Flucht vorm Leben.
In einer vernünftigeren, belseren Welt, im
Paradiese, würde Renee Sintenis kaum Anlaß
haben, ihre Bronzen zu machen. Sie würde statt
dellen mit den geliebten Tieren (das könnten im
Paradiese auch Menschen sein) zusammen leben.
Fohlen füttern, ßiegen melken, Pferde reiten oder
auch zu Fuß neben ihnen laufen. Sie würde ver-
ladene junge Tiere großziehen, junge Panther und
Tiger, deren Mutter geslorben wäre, Jungens groß-
ziehen — oder selbst ein Junge sein. Noch belser:
selber ein Fohlen sein! Ein hartschädliger Hammel,
ein Widder oder das tollste aller Tiere: ein edles
Kamel. Gott und sie selber würden mehr Freude
daran haben als an ihren Plalliken. Es wäre wirk-
lich das Paradies!
Wir verdorbenen Europäer sind hochmütig,
überschätzen die Kunst, miß verliehen sie und

freuen uns darüber, daß Renee Sintenis ihre Tier-
Bronzen macht.

Ich habe mal gelescn, Renee Sintenis wäre „die
tiefste Kiinderin der Tierseele“. Ich glaube nicht,
daß sie sich unter „Tierseele“ auch nur das Ge-
ringste vorstellen kann. Ich glaube vielmehr, daß
sie die Tiere gerade deshalb hebt, weil sie gar nichts
mit dem Begriff „Seele“ zu tun haben. Weil sie
genau das Gegenteil von einem Wesen sind, das
sich solche Sachen ausdenken kann, wie: „Künderin
der Tierseele“.
Ich glaube, daß sie die Menschen, die ja, wie
man sagt, dem Tier gerade durch ihre „unsterb-
liche Seele“ so sehr überlegen sein süllen, ich glaube,
daß sie die Menschen gerade dieser sogenannten
„Seele“ wegen nicht so liebt, wie sie die Tiere liebt.
Wenn sie einen Jungen macht, ist es ein Tier-
chen. Wenn sie eine Frau macht, ist es ein Tier.

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