Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

DOI issue:
Nr. 7
DOI article:
Nierendorf, Karl: Bekenntnis zu Ascona
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0065

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Spiegeln den Zenith zu überblitzen. (Zandvoort
kann dieses Lichtwunder haben.) Maler sind be-
sonders empfindlich für diese atmosphärischen
Zustände und Spannungen. Es ist kein Zufall, daß
Nolde sich in dem Watt an der dänischen Grenze
angesiedelt hat; dort, wo die Luft ständig umge-
slaltet wird von den Wettermächten des Nordens,
heroische Wolkenlandschaften ballend und lösend,
tagsüber im Kampf mit laßender Rcgenschwere,
unter Sonnendurchbrüchen und Lichtkatastrophen
und abendlich dramatisch in diisteren Feuern ver-
flackernd.
Wie anders leuchtet das Licht von Ascona! Es
scheint nicht so sehr dem Firmament zu entslammen
wie dem sanften Spiegel des Lago Maggiore und
zauberisch allen Dingen zu entslrömen. Das
Leuchten des Himmels steigert sich magisch, da es
dem Glanz der Wasserfläche begegnet und sich
hoch in schwebender Stille mit seinem irdischen
Widerschein vereinigt. Die Firne der Bergmasien,
das Gestein der Ufer, die Fassaden der Piazza er-
strahlen festlich beschienen; Palmen, Zypressen,
Magnolien sind umspielt von zärtlichem Geleucht;
die beiden Glockentürme ragen goldgetönt; weiße
Segel blitzen auf, Vögel (lieben in schwirrendem
Geflirr und noch jede mürbe, bröckelnde Mauer
spendet silbrigen, mild verklingenden Schimmer.
Alles Sein ist zwiefach durchströmt und verklärt
— gibt und empfängt zugleich.


Aus seidigem Glanz besonnter Birken, aus
Wiesen und Sträuchern klingt es empor; jede
Blüte verhaucht sich innig und unermeßlich. Das
ganze atmende Tal vibriert in einer schwingenden
Melodie, einem Hymnus der Einswerdung, den die

Erde dem Himmel schenkt und den die weite
Kuppel in vollen, reinen Akkorden zurückslrahlt.
Still sleht die Zeit . . . die kristallenen Berg-
gipfel schweben wolkengleich, durchsichtig, unir-
disch, gewichtlos — Gebilde aus Traum. Ein Ave-
läuten hebt an, nimmt die Tiefe des Sees und allen
Raum auf seine voll entfalteten Schwingen und
trägt den Tag durch abendliche Glut leicht hin-
über in die Schatten der nahenden Nacht.


Menschen, deren Sinne mitzuschwingen ver-
mögen im Rhythmus ihrer Umwelt, werden immer
wieder ergriffen von der unfaßbar glückhaften
atmosphärischen Gestimmtheit Asconas. Dichter,
Maler, Musiker, myslische und religiöse Naturen
sind es vor allem, die hier ihre natürliche Heimat
finden. Allen, deren Wesen rein, frei und unbe-
schwert ist, deren sensiblere Sinne das Wirken ge-
heimen Wunders zu ahnen vermögen, bedeutet
Ascona die Verwirklichung eines Wunschtraumes,
die Begegnung mit jenem verborgenen Licht, das
alles Sein bewegt, das unser Gestirn durchdringt
wie jede der Millionen Welten des Firmamentes,
wie jeden Keim, jedes Tier und jedes Element.
Der tiefste Sinn, das unaussprechliche und kaum
zu kündende Mysterium Asconas aber schenkt sich
dem, der mitten im Schauen und Genießen inne-
hält, alle Vergangenheit und Zukunft von sich ab-
tut und sich so inbrünstig der strahlenden Gegen-
wart hingibt, daß er in sich selbst wahrnimmt:
DAS IM EIGENEN HERZEN ERWACHENDE
LICHT:
AStra COrde NAta

U5
 
Annotationen