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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 3.1928/​1929

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Nummer 4-5
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Osborn, Max: Ida Gerhardi
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https://doi.org/10.11588/diglit.65605#0155
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MAX PRETZFELDER

Sie war längft aus Berlin geflohen und hatte lieh in
ihre weftfälifche Heimat zurückgezogen, nach Lüdenfcheid,
wo ihre Gefchwifter lebten — doch als vorm Jahre die
Trauernachricht kam, Ida Gerhardi fei geftorben, war es
dem Kreife ihrer alten Berliner Freunde zumute, als fei
ihnen ein Stück ihres unmittelbaren Lebens jäh und grau-
fam entrißen worden. Sie hatte in der Hauptftadt ein
Fähnlein Getreuer und Verehrer zurückgelaffen, die mit
tiefer Liebe die Erinnerung an die ausgezeichnete Künftlerin
und den klugen, feinfühligen Menfchen, der damit verbun-
den war, pflegten.
Ich fehe das zarte, fchmale, kleine Perfönchen noch vor
mir, das vor zwanzig Jahren bei uns auftauchte und mit
feiner kultivierten, aus ungewöhnlichem Farbenwiffen und
Menfchenverftehen geborenen Bildnismalerei Auffehen
machte. Ich fehe noch, wie fie, ein luftiger Irrwifch, ihr
Körperchen, deffen Gewicht einen Minimalbetrag an Kilos
aufzuweifen hatte, in den Winkel eines Sofas oder Diwans
verkroch, die Beinchen noch hinaufzog, daß man glaubte,
ein abfonderlicher Menfchenball fei von ungefähr dort hin-
gerollt, und wie fie, den Zwicker auf dem feinen Näschen,
die Zigarette in dem fchlanken, vielfagenden Händchen,
kluge und liebenswürdige Dinge über Welt, Menfchen und
Kunft plauderte, mit fcharfen Aeuglein herumfpähte und
mit echter weftdeutfcher Luft an allem Komifchen und
Drolligen hell auflachte.
Sie hatte immer etwas Zerbrechliches, Durchfichtiges.
Aber mit diefer fchwanken Phyfis waren der lebhaftefte

MAHON PLATZ

Geift und eine eiferne Energie verknüpft. In zäher Selbft-
zucht arbeitete fie daran, ihr großes Talent zu bilden, ihre
Fähigkeiten zu fteigern, den künftlerifchen Ausdruck zu
vertiefen, das malerifche Handwerk immer folider zu un-
termauern und zugleich zu durchgeiftigen.
1867 war fie in Hagen in Weftfalen geboren. München
war die erfte Studienftation. Dort nahm fie, um 1890, die
technifche Bravour dichter, engverwobener Malerei mit to-
nigen Farben in fich auf, die damals an der Ifar regierte.
Es herrfchte noch eine Tradition von der Rambergfchule
und dem Leiblkreife her. Wirklich gibt es aus jener Zeit
Arbeiten der Gerhardi, die in der Schwere und Saftigkeit
des Kolorits, im Gefühl für die Materie der Farbe, auch in
der beharrenden Ruhe der Auffaffung von fern an Leibi
erinnern — etwa das Porträt des Maurermeifters Saak.
Aber dann entftand, fchon 1892, als Gegenftück dazu das
Bildnis der Frau Saak, das über den münchnerifchen Schul-
begriff hinauswuchs zu einer Art der Menfchendarftellung
von anderer Geltung. Es läßt unwillkürlich an Paula
Moderfohn denken, fo eigentümlich ift das Innerliche, See-
lifche, das optifch nicht nur im Gleichnis Wahrnehmbare
erfaßt und mit eindringlicher, tiefbohrender Selbftverftänd-
lichkeit ausgedrückt.
Nach der für deutfche Maler der neunziger Jahre gel-
tenden Regel folgte auf München Paris. Diefe Stufenleiter
war fehr logifch. Man hatte fich in München ein anftändiges
Handwerk angeeignet und fich fo für die freie und große
Manier der Franzofen gerüftet. Ida Gerhardi geriet in die

IDA GERHARDI
VON
MAX OSBORN

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