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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Lemcke, Carl: Straßburg: (Brief an den Herausgeber)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0005

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läßt sich aufsaugen; gegen das Uebermaaß schließen wir
nns ab oder beginnen zu kränkeln, die Einen abgestumpft,
die Andern überreizt. Wer's dann nicht aushält, HLlt's
eben nicht aus. Die Menschen sind freilich ein zähes
Geschlecht. Das Unglanblichste wird ertragen, wenn es
eintritt, Dank dieser Grenze der Leidensfähigkeit.

Am Rhein sucht natürlich der erste Blick die ge-
sprengte Drehbrücke auf der badischen Seite. Ein Blick
auf den weißgrünlichen, dahinschießenden Strom, noch
befser die Ucberfahrt im Nachen kann auch den Unkundig-
sten belehren, was hier eine Brücke zu besagen hat. Vater
Rhein hat hier noch durchaus nichts von väterlicher
Würde, sondern ist ein wilder, ungeschlachter, unheimlich
dahin tollender Riesensohn der Berge und Gletscher, der
sich sehr wenig um die menschlichen Angelegenheiten und
WUnsche kümmert und die Rheinfergen zu einer ewigen
Sisyphusarbeit zwingt, die jede Faser und den letzten
Hauch in der Brust in Anspruch nimmt. Welch' ein
Kampf mit dem Element als Lebensarbeit! Jmmer das
Schiff stromaufgeschleppt, um rudernd und ringeud immer
die gemessene Strecke wieder zurückgetrieben zu werden.

An der zertrümnierten Brücke fielen mir mancherlei
Jllustrations-Missren ein. Jch habe diese Trümmer ab-
gebilvet gesehen, gauz richtig und wahrheitsgemäß, wie
ich jetzt bemerkte, wiewohl ich mich schwer geärgert hatte
über den Zeichner, der eine solche kleinliche Ansicht ge-
geben, daß man meinte, die zerbrochenen Eisenbalken seien
dürftiges Holzgestänge. Aber ans einiger Entfernung
gesehen, sieht das wirklich so aus. Die Landschaft ist in
ihrer Weite so kolossal, daß diese mächtigen Eisenbalken
und ihr lichtes Gegitter darin für den Blick zu Stäbchen
zusammenschrumpfen und man gleichsam eine zierliche
Arbeit, nicht ein kolossales Werk gewahrt. Ganz anders
erscheinen natürlich die geschlossenen Bogen einer Stein-
brücke. Für den Zeichner nun, der uns ein Bild der Zer-
störnng des Riesenwerkes geben will, ist es absolut noth-
wendig, daß er sich unmittelbar an die Trümmer begiebt
und unsere, an Eisen-Verhältnisse überdies noch nicht
so gewöhnte Anschauung durch richtig gewählte Ver-
gleichungs-Maße und genauere Ausführnng unterstützt,
statt in einer Entfernung den Standpunkt zu wählen, daß
man statt des Eisengestenges Holzstangen und Latten ver-
mnthen könnte. Wenn man doch erst bei uns an Jllustra-
tionen den Maßstab legte, wie z. B. an Gelegenheitsge-
dichte, die Jeder jetzt sich frischweg zu beurtheilen und nach
Umstäuden für miserabel zu befinden getraut, während die
Jllustrationen noch immer viel mehr angegafft als mit
irgend einer Rücksicht auf Beurtheilung ihres künstleri-
schen oder sonstigen Werthes betrachtet werden! Die Folge
ist, daß Unternehmer, Zeichner und Holzschneider sich oft
Dinge herauszugeben getrauen, die uns, in den Augen
der betrefsenden englischen Leserkreise etwa, lächerlich
machen. Wie wissen z. B. die Künstler der Londoner

Jllustrirten Zeitung ihre Repräsentations-Illustrationen
zu behandeln! Bei uns sieht man sicherlich meistens eine
weit dürftigere Darstellung, als die Wirklichkeit war, ab-
gesehen davon, daß so viele unserer Künstler noch immer
eine verzweifelte Neigung besitzen, in die reine Tagesdar-
stellung ihre sogenanuten künstlerischen Anschauungen
einfließen zu lassen und daher z. B. statt die Menschen
nach der jetzigen Mode und nach der Wirklichkeit erscheinen
zu lassen, immer Halbbanausen hinsichtlich des Anzugs z»
liefern. Die Engländer vergrößern eher durch die ge-
wählten Maßstäbe die Dinge und die Menschenzahl und
dergl., wenn irgend etwas Jmposantes gezeigt werden
soll, wie sie besonders darauf achten, daß alles Asntlk'
mnnlilrs, wenn irgend möglich, erscheint. Bei uns bleibt
durchschnittlich die Darstellung weit unter dem Maßstab
der Wirklichkeit, ja erscheint oft lumpig-dürftig; von
Menschenmassen ist kaum je die Rede, die Ausführung
der Einzelheiten an großen Dingen fehlt im Holzschnitt,
und daher erscheint Alles nackl und kleiner und was die
sonstige Jn-Scene-Setzung betrifst, so sieht man nicht
selten auf den ersten Blick, daß der Zeichner keine Ahnnng
dayon hat, was in der besseren Gesellschaft Mode ist. Ein
Maler, der seinem eignenGeschmack folgt und dieMode und
ihre Halskrägen und Rock- und Hosenschnitte verdamint,
mag ein vortrefflicher Künstler sein, aber zu einem Jllu-
strator der Tagesbegebenheiten und deren Realismus
taug er nun einmal nicht. Es heißt auch da: entweder —
oder. Gegen früher ist es allerdings besser geworden, gut
aber noch immer nicht, weil bei uns dieMittel noch immer
zu beschränkt, sind. Wüßte man nur die Jllustration so
gut zu gebrauchen, wie man jetzt schon die Zeitungen
durch Artikel uud Annoncen zu benutzen versteht! Nichts
geht leichter ein als durch das Auge; Regierungen und
Persönlichkeiten könnten sicherlich für ihren Vortheil das
Geld oft nicht besser ausgeben, als durch bedeutende ge-
eignete KLnstler auf dem Gebiet der Tages-Jllustration
wirken zu lassen, unbeschadet der großen Bilder, Denk-
male, Portraits rc. Und der künstlerischen Volkserziehung
wäre der größte Dienst geleistet, wenn dadurch die An-
sprüche gesteigert würden.

Doch nun über den Rhein, dem Müuster entgegen,
der dort aus dem Morgennebel emporragt.

Platanen- und Ulmenholz wird billig in Straß-
burg. Die herrlichen Bäume, die den ganzen Weg ent-
lang umgehauen, über den Weg und znr Seite geworfen
sind! Deutsche Werktruppen und Arbeiter räumen auf-
Jetzt nach tücbtigem Marsche nach Straßburg, nach Straß-
burg, in die deutsche Stadt hinein! Rechts hinüber er-
blickt man zerschossene Wälle; sonst sieht am Austerlitzthor
Alles friedlich genug aus. Deutsche Wachen vor deu>
Thor und aus dem Thorplatz ein Gewimmel deutscher
Truppen; aber Niemand hält uns an, verlangt Paß oder
! dergl.; Gewühl auf den Straßen, Uniformen überaü,
 
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