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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Ihne, Ernst: Die Stoffwelt der neuesten Malerei, [2]: Studien im Pariser "Salon" von 1860
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0025

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22

Künstlers zu sein, durch eine willkürliche Verschiebung
des Standpunktes im Beschauer das Mitleid des Sama-
riters zu erwecken. Es ist so zu sagen eine Motivirung
seiner Barmherzigkeit. — Blos als Borwand dient der
Titel in d'em effektvollen Bilde vou A. Regnault. Es
scheint, als ob der junge 6runä-prix um jeden Preis
etwas Aufsallendes aus der ewigen Stadt nach Paris
schicken wollte. Er hat diesmal die Tänzerin Salome
gemalt, die, auf einer Art von Theekasten thronend, die
Schüssel auf dem Schooße hält, welche das Haupt des
Johannes empfangen soll. Der Busen ist halb von dem
herabfallenden Haare verhüllt. Das Haupt mit der
struppig schwarzen Mähne ist etwas auf die Seite ge-
neigt und sieht mit einem nonchalanten und etwas un-
cultivirten Balletlächeln auf den vermuthlich schon vor
sich gehenden Akt. Die koloristische Durchführung ist
von höchster Virtuosität, namentlich in den Stoffen scheint
dieser Künstler zu excelliren. Die ganze Figur hebt sich
scharf ab von einer gelb seidenen Draperie im Hinter-
grunde, und dieses giftige Gelb, das mit dem sür die
Wirkung nicht unwesentlichen schwarzen Rahmen, mit dem
schwarzen Haar und wieder mit den warmen rosigen
Fleischtönen kontrastirt, leuchtet dem Wanderer schon
aus weiter Ferne wie ein Leitstern. Den Körper ver-
hüllt nur halb eine Draperie aus durchsichtigem Gold-
brokat, durch das die verschränkten Beinchen durchschim-
mern. Offenbar legt der Künstler auf das rein Tech-
nische, auf die Schulvirtuosität viel zu viel Gewicht. Bei
alledem aber kommt hier ein bestimmter Weibertypus zum
Ausdrucke. Es ist die körperliche Schönheit, der sinnliche
Reiz und die geistige Nullität und Stumpfheit der Dirne.

Mit diesem Bilde kontrastirt stark die Darstellung
des Martyriums Johannis von Puvis de Cha-
vannes. Dieser Künstler gehört der religiös-reformato-
rischen Richtung an, in der man den alten Formen neues
Leben einflößen möchte. Auch in der Technik glaubt er
den profanen Realisten Opposition machen zu müssen mit
einer möglichst unrealen, wie seine Anhänger glauben,
vergeistigten Farbengebung. Seine Enthauptung des
Johannes ist ein Bild von fast byzantinischer Symmetrie.
Ein enger Hof, in dem ein einziger Baum steht, wird
durch das Licht, das durch das Laub einfällt, grüngelblich
beleuchtet. Jn der Mitte kniet der abgemagerte Johannes,
mit einem Fell umgürtet, ihm zur Seite der jüdische
Scharfrichter, der mit wahrem Vergnügen für den Hieb
auszuholen scheint. Es graut uns vor der Unvermeid-
lichkeit des herannahenden Schlages. Rechts Herodias,
die auf die Vollziehung des Aktes wartet. Sie sieht mit
gemischtenGefühlen hiu, wie unsHeinrichHeineerzählthat:

„Denn sie liebte einst Johaunem,

„Jn der Bibel steht es nicht, —

„Doch im Volke lebt die Sage

„Von Herodias' blut'ger Liebe.

Jn der Komposition offenbart sich ein entschieden ar-
chaistischer Zug, der uns unangenehm berührt wie Moder-
duft aus alten Grüften. Ein ernstes Streben nach geisti-
ger Bedeutung läßt sich aber in demBilde nicht verkennen-
Ein tiefer blickender Schopenhauerianer HLtte vielleicht in
diesem Johannes die Darstellung der Verneinung des
Willens zum Leben gesehen, das Höchste, was es über-
haupt giebt. Vermuthlich hat auch der Künstler so etwas
gewollt.

Biel näher steht er uns in seinem zweiten Bilde:
Magdalena. Diese ist ein weiblicher Hamlet, die in
einer steinigen Einöde, einen Schädel in der Hand, über
die Eitelkeit der Eitelkeiten brütet. Sie erinnert an die
germanisch christlichen Romantiker nnd deren Versuche,
die christliche Mythologie neu zu beleben, und unterscheidet
sich sehr scharf und sehr richtig von der üppigen, inTrauer
zerfließenden Magdalena der Renaissance. Es ist eine
Magdalena für die Gebildeten unter den Religionsver-
ächtern.

Aber auch die spezifisch moderne rationalistische Rich-
tung der Theologie ist auf der Ausstellung vertreten. Sie
kennzeichnet sich durch die geschichtlich kritische Auffassung
der Vorgänge und durch die sorgfältige Berücksichtigung
des Detailkrams. So ist es z. B. einem Künstler ge-
lungen, die Episode vom Sturm auf dem Galiläersee zu
einem Marinebild zu machen.

Ein anderes Bild von Nanteuil heißt „1s äsruisr
solsil". Es zeigt uns Christus im Kerker auf einer stei-
nernen Bank in der Fensternische sitzend, mit dem Purpur
bekleidet, die Dornenkrone auf dem Haupte. Jn der
rechten Hälfte des Bildes ein Gewölbe, in dessen Tiefe
dieKriegsknechte gelagert sind. Jm ganzen Raume herrscht
ein Halbdunkel, in dem die sich kreuzenden Lichtreflexe ge-
schickt behandelt sind. Nur vor Christus zeichuet die Scene
das Kerkerfenster in grellem Licht auf dem Boden. Er sieht
nachdenklich aus den hellen Flecken. Seinem von unten
beleuchteten, gerötheten Antlitze fehlt jede WUrde, ge-
schweige denn jede übermenschliche Hoheit. Es ist der
Christus von Renan.

Diese Beispiele scheinen mir gerade deswegen beson-
ders lehrreich zu sein, weil der Gegensatz der genannten
Gattungen der religiösen Malerei die Bedeutung der
Behandlungsweise neben der des ostensiblen Gegenstan-
des besonders hervortreten läßt. Wir werden durch die
Vergleichung dieser beiden Auffassungsweisen dem uns
vorgesteckten Ziele näher kommen und immer deutlicher
erkennen, wie das Berhältniß vom Subjekt zum Objekt
den wahren Gegenstand der Malerei ausmacht.

Wenn die bisherigen Betrachtungen jene Gattung der
Malerei betrafen, welche man gewöhnlich die ideale nennt,
so führt uns die Behandlung von religiösen Gegenstän-
den in den zuletzt angeführten Gemälden auf ein ganz
anderes Gebiet, das Genre. Dies ist bekanntlich keine
 
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