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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Die neu aufgedeckte Gräberstraße von Athen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0093

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auch im Alterthmn, und man nimmt deßhalb mit Sicher-
heit an, daß in der Gegend der Agia Triada ein Haupt-
thor Athens, das Dipylon, das Doppelthor, sich befand.
Ging man vor Alters aus diesem Thore nordwärts zn
den Olivenpflanzuugen der Akademie, so sah man am
Wege GrLber, die von Staatswegen fnr gefallene Krieger
errichtet waren. Jetzt sind sie verschwunden, aber süd-
wärts von der Triada stieß man in einem aufgeschütteten
Hügel zuerst im Jahre 1861 bei einer Straßenregulirung
Neuathens anf Gräber alter Zeit. Nach und nach sind
diese Spuren weiter verfolgt, und bereits ist völlig dentlich
ein Theil einer Straße an's Licht getreten mit Grab-
mälern auf ihren beiden Rändern, andre Gräber dahinter.
Einige kamen noch gänzlich unverrückt an alter Stelle
stehend zum Vorscheine, andre waren wenigstens leicht
wieder aufzurichten, andre wieder waren übler zugerichtet
oder so gut wie zerstört. Die Ansgrabung ist noch nicht
zn Ende. Was sie geliefert hat, verspricht noch mehr.

Ein Grab nnweit des Dipylon, wie diese wieder-
entdeckten, war sedenfalls in Altathen eines in gesuchter
Gegend, war in seiner Art etwa was heutzutage ein
Palais unter den Linden oder in der Wilhelmstraße in
der neuen Kaiserstadt ist oder was für den Bewohner der
alten eine Villa in Baden oder Jschl, jedes in seiner Art,
sein mag. Gleich begegnet uns auch beim Betreten des
Platzes der Ausgrabung ein Name aus vornehmer
Familie: da ruht Hipparete, des Alkibiades Tochter,
eine Dame aus jüngerer Generation der Familie des
weltbekannten Alkibiades, vielleicht die Tochter des un-
gerathenen Sohnes des auch schon oft etwas ungezogenen
Lieblings der Grazien und, hin und wieder mit Schmerzen,
auch der Athener. Sie führt den Namen der Frau des
älteren Alkibiades. Da ist wiedernm ein junger Ritter
begraben, dem das große Loos des Todes für sein Vater-
land fiel: Dexileos, des Lysanias Sohn, aus der Ort-
schaft Thorikos in Attika. Er fiel als einer von fünfen,
die sich damals auszeichneten, im korinthischen Kriege
gegen die Spartaner. Es war im Jahre 394 v. Chr.
Sein Bild, wie er zu Pferde kämpft, schmückt das Grab.
Jn manchen enropäischen Sammlungen begegnet man
bereits Abgüssen dieses Hochreliefs. Da liegen dann
auch von den Größen der Bühne einige, freilich erst aus
der Epigonenzeit des attischen Schauspiels: ein Dichter,
der Tragödien schrieb, Makareus, dessen Namen wenigstens
dieser Grabstein aus dem svnst vollständigen Schifsbruche
seines Nachrnhms gerettet hat; dann ein Andrer, der
Komödien lieferte, „den nun ganz Hellas bei seinen Festen
vermißt", wie wenigstens noch die Aufschrift auf seinem
Steine behaupten konnte. Sonst spricht Niemand mehr
von ihm, so wenig wie von dem Schauspieler Menedotos,
der auch hier bestattet wurde. Hin und wieder liegen
ganze Familien mit ihren Grabmälern beisammen; anf
das eines gewissen Koroibos haben sie nach und nach die

Namen eingetragen der Angehörigen, die ihm in den Tod
und in das gemeinsame Grab folgten. Hier hat man
einmal eine Jnschrift schon im Alterthume pietätslos ver-
tilgt, um eine neue bei neuer Benntzung des Grabes oder
doch des Steines an die Stelle zu setzen, oder wieder ein
andres Mal hat ein älteres Epigramm, das aber doch
immer noch halbverlöscht dnrchschimmert, einem aber
auch wieder nicht recht fertig gewordnen Relief Platz
machen müssen. Die Namen kann ich hier nicht alle
nennen derer, die sich nach und nach auf engem Raume
im Tode zusammendrängten und zuweilen auch Einer
den Andern verdrängten. Allerlei Formen des Grabmals
sind neben einander vertreten: die flachliegende deckende
Platte und die aufrechtstehende Jnschrifttafel, niedriger
oder hochschlank, mit einfachem Giebeldache oder mit den
Krönungen, die bald mehr ionischem, bald mehr korin-
thischem Stile entsprechen. Es fehlen auch die gefäß-
förmigen Grabaufsätze nicht, noch weniger die in späterer
Zeit für ärmere Leute, wie es scheint, übliche Form des
kleinen Cylinders mit umlaufendem Wulste — eine selt-
same Form, wie man auf die gekommen ist? Dazwischen
treten dann die vollständigeren Nachahmungen eines
heiligen Hauses mit seinem Giebeldache ansehnlicher her-
vor; es ist das Heiligthum, zu dem man dem Todten
Spenden brachte; zum Hineingießen derselben sind mehr-
fach Vertiefuugen im Sockel angebracht. Jn dem Grab-
tempelchen aber sitzt und steht im Bilde der Verstorbene
selbst oder mehre zusammen, aber ganz ungezwungen,
nicht von dem architektonischeu Rahmen beengt, lässig
lebendig fast wie in offenen Hausthüren längs der Straße
hin verkehrend. Edle Frauenbilder treten an einigen
Stellen besonders hervor, Männer erscheinsn auch kämpfend
wie jener schon erwähnte Dexileos oder ein Anderer, der
Archenautes hieß. Neben seinem Herrn steht nicht selten
der Diener, er trägt für den Knaben, der einen Bogel,
sein Lieblingsthierchen, in der Hand HLlt, das Badegeräth
oder der Frau reicht die Dienerin das Schmnckkästchen;
über den Schooß seiner Mutter beugt sich da ein Knabe
vor mit Etwas von Schillerschen Zügen, eine Mutter
streichelt ihre halbwachsene Tochter am Kinn, man reicht
sich die Hände, dieses Handreichen, in dem man deutend
so oft zu viel gesucht hat, prunkend tritt eine Jsispriesterin
in ihrem Ornate auf, athenische Schutzmänner in ihrer
skythischen Uniform kommen auch vor. Ein großer Hund,
ein Stier, mehre Male ein Löwe sind auch in Marmor
ausgehauen, nicht alle so leicht zu deuten. Die luxuriösen
Bewohner Agrigents errichteten ja sogar Thieren stattliche
Grabmäler; Löwen wenigstens mögen ein Kriegergrab
anzeigen, wie der Löwe, der die Leiber der gegen Philipp
Gefallenen bei Chäronea bedeckte. Das ist in kurzer Auf-
zählung von Einzelheiten die neue Gräberstraße von Athen.
Nur in den Bildwerken ist wie ein Abdruck des geschwun-
denen Lebens geblieben, das ehedem sich auch um sie her
 
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