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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Lübke, W.: Die angezweifelten Dürerzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0197

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Stüirchers," eines „anKühnheit, Konsequenz und Frucht-
barkeit wohl einzig dastehenden Fälschers." Diese That-
sache liege zu klar am Tage, meint Herr Thausing, um
nicht sogleich anerkannt zu werden, sobald sie einmal ent-
larvt sei; ja es bleibe räthselhaft, daß bisher noch Niemaud
den Mulh gehabt, dies auszusprechen. Nach einem solchen
Berdikt konnte es im ersten Moment scheinen, als ob die
Frage der Aechtheit dieser Zeichnungen für alle Zeit in
verneinendem Sinn entschieden sei, und es wurde schier zu
einem Zeichen geringer Eiusicht gestempelt, wenn Jemand
noch für diese Stninperarbeiten in die Schranken treten
wollte.

Trotzdem ist dies geschehen. A. von Eye, der neueste
Biograph Dürer's, hat im Anzeiger des Germanischen
Museums 1871, No. 3 den hingeworfenen Handschuh auf-
genommen, die Verdächtigungen Thausing's zurückgewiesen,
den äußercn Thatbestand in Betreff der Herkunft der
Sammlung festgestelltundausinneren Gründen die Achtheit
dcr Zeichnungen dargelegt. So gediegen seine Ausfüh-
rungen sind, so fein nainentlich seine Bemerkungen über
deu phhsiognomischen Gesammtcharakter der Köpfe, in
welchen er mit Recht das unverkennbare Gepräge der
Reformativnsperiode darlegt, so würde ich doch mich nicht
getraut haben, in diesem Streit ein llrtheil abzngeben,
selbst nur eine Ausicht auszusprechen, wenn ich nicht kürzlich
Gelegenheit gehabt hätte, die in Bamberg befindlichen
Köpfe dieser Reihenfolge, sechzig an der Zahl, eingeheud
zu prüfen. Da meine Erinnerung sowohl vou den Ber-
liner wie von den Bamberger Köpfeu etwas verblaßt war,
so muß ich gestehen, daß Thausing's unfehlbar sicherer
Ton mich stutzig gemacht und eineu starken Verdacht gegen
die Zeichnungeu in mir erweckt hatte. Jch ging daher
mit gespannter Erwartung und mit eben so regerZweifel-
sucht an die Durchsicht der Blätter. Bekanntlich sind die
verdächtigten Köpfe sämmtlich im Profil von der Rechten
zur Linken gezeichnet, und zwar mit Kohle oder Kreide
in äußerster Flüchtigkeit hingeworfen, wie es nur geschieht,
wcnn es gilt, einen rasch vorüber eilenden Moment im
Fluge festzuhalten. Daß auf solche Weise nicht Zeichnungen
entstehen können von jener subtilen Schärfe und detailli-
renden Feinheit der Ausführung, wie wir sie an Dürer's
zahlreichen Blättern gewohnt sind, liegt auf der Hand.
Gerade solche Augenblicksskizzen, wie wir sie hier vor uns
haben, sind wir von Dürer nieist nicht gewohnt, und es
würde in der That von unbegreiflicher Kopflosigkeit zeugen,
wenn ein Fälscher einen Meister in einer Darstellungs-
weise nachbilden wollte, welche man von diesem gar nicht
kennt, mit welcher man also das Ziel jedes derartigen Be-
trugs, die Täuschung, gar nicht erreichen könnte. So
war auch mir deshalb beim Betrachten der ersten Blätter
diese Fremdartigkeit auffallend; aber je weiter ich kam, je
länger und je öfter ich prüfte, desto fesselnder wurde der
Reiz dieser unscheinbaren Zeichnungen. Erwägt maii

vollends, daß dieselben wahrscheinlich im 17. Jahrhundert
von einer täppischen Hand an den Konturen ausgeschnitten,
auf anderes Papier geklebt und mit neuen Unterschriften
im Charakter jener Zeit, (nicht wie Herr Thausing meint,
in dem des 18. Jahrhunderts) versehen worden sind, wo-
durch der Hauch der Unberührtheit wesentlich getrübt und
die Weichheit der Umrisse erheblich geschädigt wurde, so
muß man noch mehr staunen über die ausdrucksvolle Leben-
digkeit dieser Köpfe. Freilich für Den, welchem äußere
Korrektheit, untadelige Regelrichtigkeit das Höchste in der
Kunst sinv, giebt es hier viele Steine des Anstoßes. Wer
wird Herrn Thausing manche verzeichnete Ohren, verküm-
merte Hinterköpfe, zu dick gerathene Hälse nicht bereitwillig
zugeben? Aber was will das alles sagen angesichts der
schlagenden Prägnanz, mit welcher überall ein individuelles
Leben zur Erscheinung gebracht ist, mit einer Feinheit der
Abstufungen, die am überraschendsten da heraustritt, wo
Köpse von verwandten Grundzügen wiedergegeben sind.
Betrachtet man sie einzeln, so glaubt man dieselben ge-
sehen zu haben; hält man sie aber neben einander, so wird
man überrascht sein von den anfangs unmerklichen Ab-
stufungen der Profilführung, der Mundbildung, des Falles
der Haare, besonders aber des Ausdrucks der Augen, mit
einem Worte Verschiedenheiten uud Variationen desselben
Grundtypus, wie sie selbst der größte Meister nicht zu er-
sinden, vielmehr nur die Natur in ihrer unerschöpflichen
Mannichfaltigkeit hervor zu bringen vermag. Aus der
Soldan'schen Publikation, die ja Jedermann erreichbar
ist, nenne ich als derartige Parallelen den Bischof von
Speyer und den von Regensburg („Johannes Administra-
tor"); Thomassin von Genua, Friedrich von Bayern und
Ulrich von Hutten; Bischof Albrecht von Mainz und Abt
Melchior Pfintzing; Meister Lucas von Leyden und Bo-
naventura Fortenbach. Die Richtigkeit der Unterschriften
lasse ich ganz dahin gestellt sein; manche werden leicht als
richtig nachgewiesen werden können; bei andern liegen
grobe Verwechselungen auf der Hand, wie sie beim Aus-
schneiden, Aufkleben und Hinzufügen neuer Jnschriften
leicht passiren konnten. Da wir die Blätter nicht mehr
im ursprünglichen Zustande besitzen, beweisen Jrrthümer
dieser Art nichts gegen die Echtheit der Köpfe, die Frage
wird sich vielmehr zu einer rein künstlerischen zuspitzen,
und die größere oder geringere Feinheit des prüfenden
Auges wird dabei in erster Linie in Betracht kommen.
Wenn Herr Thausing in seinem Angriff ein mitleidiges
Achselzucken dafür hat, daß die Hauptstadt des neuen
deutschen Reiches keine besseren Denkmäler von Dürer's
Kunst aufzuweisen habe, so wird man darin vielleicht den
begreifliche» und verzeihlichen Stolz des Vorstandes der be-
rühmten Albcrtina zu Wien erkennen; wenn A. v. Eye
ihm entgegen getreten ist, so rechnet man ihm das mög-
licherweise als dem Biographen Dürer's und dem Mit-
herauSgeber der Zeichnungen uur alsAkt derVertheidigung
 
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