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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Wintzer, Richard: Die Grenzen zwischen Malerei und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0167

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DIE GRENZEN ZWISCHEN MALEREI UND MUSIK

das die Musik wertvoller machte. Ja, die klarsten Beschauer eine größere Dosis in Tätigkeit tretender
"Worte verderben hier erst recht alles, da es die Vernunft — hier in Gestalt von empirisch ge-
Musik doch allein mit zur Wahrnehmung ge- wonnenen Begriffen — voraussetzt. Sehen wir
langenden Reflexwirkungen von Empfindungen einmal kurz zu, wie kompliziert der Schöpfer eines
zu tun hat, die die Töne vermitteln. Die Musik malerischen Werkes, wie auch dessen Betrachter,
muß man darum die unklarste aller Künste fühlen muß: In der Natur gibt es schlechthin
nennen; sie erzählt alles und nichts, nicht einen nur Form, da diese die Farbe als notwendigen
einzigen „Gedanken" vermag sie auszudrücken, Bestandteil in sich schließt. Farbe ist einer der
ja dieser würde schon das Ende der erzeugten sichtbaren Beweise der Form, ein Teil der Form
Gefühle herbeiführen. Wohl aber hat diese er- selbst. Auch Linien im eigentlichen Sinne existieren
habene Kunst die Macht, Gedanken zu wecken nicht, ebensowenig irgend eine Form ohne Ton-
und im Hörer eine Flut von seelischen Evolutionen wert, sondern nur aneinander gefügte Flächen,
hervorzurufen. Wo jedoch das erklärende Wort — deren jede, auch noch so winzig, ihren Tonwert
der Gedanke — hinzutreten muß, wird immer hat, und die, in größerer oder geringerer Anzahl
das Gefühlsleben des Hörers beeinträchtigt sein, vereinigt, einen Körper dem Auge sichtbar machen,
und das Musikwerk
richtet sich selbst.
Die Grenzen der

Ausdrucksmittel
sind erreicht, und
die Töne wollen
sagen: Hier ist
unsere Fähigkeit
zu Ende — wir
bedürfen des Wor-
tes, um etwas sein
zu können.

Wegen der der
musikalischen Aus-
drucksform eigen-
tümlichen Ver-
schwommenheit
verglichen wir oben
die Musik mit der
Religion im Gegen-

o o

satz zur Malerei,
die mehr aus der
Vernunft geboren
wird. Die Religion
ist wie die Musik
Sache des Herzens,
und kein noch so
sprühender Geistes-
blitz wird einen
wahrhaft Gläubigen
in dem, das ihm
heilig ist, beein-
flussen können —
er bleibt darin und
will gar nicht den-
ken, da ihmEmpfin-
dungen und Glaube
alles sind. Betrach-
ten wir dem analog
die Musik, so steht
zu ihr eben die Ma-
lerei im hellsten Ge-

, , ■ ■ PERLHUHN. BRONZE TAUSCHIERT MAX ESSER

gensatz, aa Sie im Von der Nationalgalerie angekauft.

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