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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Die deutsche Kunst der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0380

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DIE DEUTSCHE KUNST DER
RENAISSANCE.

„Es ist eine bemerkenswerte Tatsache,
daß der Deutsche in der Welt seiner alten heimi-
schen Kunst viel weniger sich zu Hause weiß,
als in der italienischen oder niederländischen,
und selbst der, der nicht nur aus Pflicht, sondern
aus Neigung sich mit ihr beschäftigt, pflegt sich
an ihrem idyllischen Mikrokosmus zu erbauen
und darüber ihre weltgeschichtliche Stellung zu
vergessen."

Mit dieser eigentlich uns allen bekannten und
betrüblichen Feststellung klingt das Kapitel
„Über Wert und Wesen der deutschen
Kunst der Renaissance" in einem groß-

GEFESSELTES WEIB. MARMOR. REINHOLD BOELTZIO

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zügig angelegten, neuen und größte Beachtung
verdienenden Werke ein. das der bekannte Kunst-
o-elehrte Dr. Fiitz Burrrer-München als „Hand-
buch der Kunstwissenschaft''- unter Mit-
arbeit unserer besten modernen Kunstkenner und
Gelehrten in der Akademischen Verlagsgesellschaft
m. b. H. M. Koch (Berlin-Neubabelsberg) heraus-
zugeben beginnt. Dieses monumental angelegte
Werk, von dem 20 Teile voll der feinsten und
prächtigsten Reproduktionen angekündigt werden
und das in Lieferungen erscheint, will der jungen
Kunstwissenschaft ein Helfer, Führer, Berater
und — Bahnbrecher sein und vor allem dem
Kunstfreund und Gebildeten auch Gelegenheit
geben: ein selbständiges persönliches Verhältnis
zur Kunst zu o-ewinnen und das Kunstwerk aus

O

seinen eigenen Lebensbedingungen heraus zu be-
greifen. Wir sind bereits heute in der Lage,
einige markante Stellen aus dem oben bezeich-
neten Kapitel der ersten Lieferung zum Abdruck
zu bringen.

>'•

Noch immer erblickt man so häufig in dem
Mittelalter den großen Gedankenstrich, den die
Geschichte zwischen Antike und Renaissance ge-
macht hat, übersieht seine positiven gewaltigen
J.eistuncjen und gewöhnt sich in der Renaissance
das Erwachen aus Nacht und Grauen zu para-
diesischer Herrlichkeit zu sehen. Damit ist aber
jedem objektiven historischen wie kunstwissen-
schaftlichen Verständnis der Boden entzogen.
Denn einerseits wird die tatsächliche wertschaffende
Bedeutung des Mittelalters verkannt, anderseits
gewöhnt man sich nach den Erkenntnisprinzipien
und den Idealen der italienischen Renaissance
zu urteilen. Es geht nicht an, daß man die
deutsche Renaissance erst mit dem Zeitpunkt der
Übernahme der italienischen Formen besinnen
läßt und auf diese Weise der Begriff Renaissance
so ganz ausschließlich mit dieser äußerlichen
Folgeerscheinung identifiziert, statt die besondere
Art ihrer Neuzeitlichkeit ins Auge zu fassen.

Man darf vor allem nicht vergessen, daß im
Süden das Mittelalter in der Kunst niemals eine
solche durchaus selbständige und große, alle Teil-
gebiete der bildenden Kunst gleichmäßig um-
fassende Sondergestaltung wie im Norden in den
Domen und Klöstern erhielt, wo das erwachende
Volkstum sich seinem Geist aufs innigste ver-
bunden hatte. Daher kam es, daß die Bewegung
der Renaissance hier in Deutschland einen vom
Süden sehr wesentlich verschiedenen Verlauf ge-
nommen hat, der eben in erster Linie Richtung
und Ziel hauptsächlich durch den mittelalterlichen
Geist erfuhr, um so mehr als die Zeugnisse
griechischer Kultur hier ferner als anderwärts
lagen. Die weltgeschichtliche Bedeutung deut-
 
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