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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Ein vergessener Maler des Biedermeier
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0662

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EIN VERGESSENER MALER DES BIEDERMEIER

Im ganzen Zimmer aber ein leichter Duft von
Lavendel und Thymian, der aus den verlassenen
Schreinen dringt. Von den einfarbig gestrichenen
Wänden gucken schwarze Silhouetten oder
Lithographien komisch-altmodischer Herren mit
hochgeknöpften Halsbinden (als ob sie drin er-
sticken wollten) aus den Rahmen. In den
Ecken träumen Flöte und Tabakspfeife, traulich
gesellt, und etwas, was damals schon ein Erb-
stück war, ein grauumwickelter Spinnrocken,
hütet wie eine Reliquie der Zeiten den Fenster-
tritt, über dem in kleinen Töpfen Geranien und
Levkoyen blühen.

O alte Zeit, der wir jetzt nachträumen! Kein
Wunder, daß den von den technischenTriumphen
der Gegenwart ernüchterten Großstädter dein
kleinbürgerlicher Zauber anzog, daß du „Mode"
wurdest, friedliches Biedermeier, in Außen- und
Innenarchitektur, in Literatur, in Kleidung und
sonstigen Kulturdingen. „Zurück zur Einfachheit,
zur Zweckmäßigkeit!" hieß die Generaldevise
in allem — und das war ein Glück nach der
Verkitschtheit eines falschverstandenen Re-
naissanceprunkes, mit dem wir uns jahrzehnte-
lang überladen hatten. Die Nachwirkung des
Biedermeier hat uns von vielem Wust befreit...

Und doch hatte auch jene friedsame Zeit ein
Doppelgesicht wie jede andere Zeit auch.
Außerhalb der stillen Stuben ging ein großes
Werden vor sich. Der heiße Kampf um neue
politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche
Ideale bereitete sich damals vor — und wenn
Biedermeier auch gern mit der Zipfelmütze zu
Bette ging, so wußte er doch mit einer Energie,
welche aus edler Unzufriedenheit entsprungen
war, seine Forderungen an die Zeit zu stellen
und seinen Kopf dafür einzusetzen. Jene drei
Dezennien bezeichnen die umstürmte Jugend
des Zeitalters, in dem wir heute leben. Die
Saaten wurden ausgestreut...

Vor allem verlangt das Berliner Porträt dieser
Zeit unsere erste Aufmerksamkeit. Am frucht-
barsten für die Gegenwart wurde im Biedermeier
die Malerei. Hierbei spielte die lokale Be-
grenzung eine Hauptrolle, und es ist wohl das
einzige preisenswerte Resultat der politischen
Zersplitterung jener Zeit, daß durch eine ihr
ganz natürliche Trennung in Einzelschulen,
wie sie sich in Hamburg, Düsseldorf, München
fanden, auch die natürliche Entwickelung der
jungen deutschen Malkunst am stärksten ge-
fördert wurde. Allen voran in Berlin. Die
Jahrhundertausstellung von 1906 hat es deutlich
offenbart, daß Berlin überhaupt in dieser Zeit
die führende Rolle auf dem Werdegange zur

modernen Malerei gespielt hat. Hier wurde
der malerische Klassizismus, wie er in Genelli,
Joseph Anton Koch und Preller personifiziert
war, ebenso wie der Romantizismus bald von
der Wirklichkeitsmalerei abgelöst, obgleich
die gewaltigen historischen Wandgemälde Kaul-
bachs, den Friedrich Wilhelm IV. neben Cornelius
nach Berlin gerufen hatte, von den Berlinern
im Neuen Museum nicht wenig bestaunt und
bejubelt wurden, besonders „Die Blüte Griechen-
lands", „Die Hunnenschlacht", „Die Kreuzfahrer".
Aber diese kurze Begeisterung konnte den Ent-
wicklungsgang der gesunden Berliner Wirklich-
keitsmalerei nicht aufhalten. Aus den unschein-
barsten, rein handwerklichen Anfängen heraus

— die Tradition führt ja bis zu Chodowiecki
zurück — erwuchs hier jene allem romantischem
Beiwerk abholde „Naturkunst", die in Karl
Blechen und Franz Krüger ihre erste Höhe,
in Adolf Menzel einen ragenden Gipfel
erreichte.

Der Name Franz Krügers als des berufensten
Vorläufers Menzels steht über dem Tore der
Biedermeierzeit als der ihres eigentlichen Schil-
derers und Chroniqueurs mit Farbe und Blei-
stift. Dieser unbeirrbare Naturmaler mit der
leichten sicheren Gelenkigkeit der Hand, dem
sachlich prüfenden Blick, der sofort das Typische
erfaßt, dokumentiert aufs deutlichste die Wichtig-
heit eines guten Handwerks. Man könnte ihn

— nach der langen höfisch-aristokratischen
Vergangenheit des Barock und des Rokoko vor
ihm — den ersten „Bürgermaler" nennen. In
seiner grundehrlichen Kunst spiegelt sich das
gesamte Gesellschaftsleben seiner Epoche, indem
er das fürstliche, das adlige, das militärische,
das künstlerische, wissenschaftliche und klein-
bürgerliche Berlin vom König bis zum letzten
Schusterjungen mit unvergleichlicher Objektivität
abkonterfeit. Immer wieder bewundert man auf
seinen großen Gruppenbildern wie auf seinen
Porträts die Schärfe seines Blicks, die den
Männern den gravitätischen Ernst, den Frauen
und Mädchen die köstliche Grazie und die
ganze mollige Anmut jener biedermeierlichen
Tage abzulauschen weiß ...

Neben ihm schufen manche, die (wie er
selbst so lange Zeit) einmal vergessen waren,
aber noch nicht wieder ins Gedächtnis zurück-
gerufen wurden. Einer von ihnen, der aus-
gezeichnete Porträtist Adolf Henning, soll
mit den hier wiedergegebenen Bildnissen, die
alle nächste Verwandte von ihm darstellen,
wieder in die verdiente Ehrenstelle eingesetzt
werden, die ihm einst als Zeitgenosse Franz
Krügers gebührte. In diesen prachtvoll leben-
digen, noch nie veröffentlichten Porträts lebt
die ganze Biedermeierzeit auf, wie wir sie in

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