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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Brurein, Wilhelm: Berliner Architekturplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0670

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DEKORATIVE SKULPTUR VON EINEM GRABSTEIN

GEORGES MORIN

BERLINER ARCHITEKTURPLASTIK
Sie war ein Schmerzenskind der Kunst,
die arme Architekturplastik der letzten Ver-
gangenheit. Lange Jahre war sie schwer erkrankt.
Erging es ihr in München just auch nicht gut,
so fühlte sie sich doch noch viel elender in
Berlin, denn hier kamen mehrere besonders un-
günstige Momente zusammen, die ihr Gedeihen
immer wieder aufhielten.

Nach einem öden Schema des „unsterblichen
Klassizismus", der alles, was irgendwie Kunst
hieß, Jahrzehnte lang unter sein Szepter zwang,
hatte man die überschäumende Art von Reinhold
Begas, die barock, naturalistisch und malerisch
zugleich war, als eine Erlösung bejauchzt. Die
geniale Art des Meisters, sein stürmischer und
von Leben strotzender Schaffensgeist riß alles
mit sich fort. Man begrüßte in ihm den kraft-
vollen Schilderer des animalischen Lebens —
nur die einheitliche Verschmelzung der organi-
schen Gebilde mit den unorganischen Formen
der Architektur ist ihm nie gelungen.

Diese Einheit aber ist es, welche wohl als
Vorbedingung aller Monumentalität, aller Denk-

malskunst, wie aller angewandten Bildnerei im
Rahmen der Baukunst übeihaupt zu gelten hat.

Begas war sich übrigens dessen sehr bewußt,
daß ihm die Gestaltung dieser Einheit nicht ge-
lingen wollte.

Als er einst an dem Sarkophag der Kaiserin
Friedrich arbeitete, versuchte er vergeblich Kinder
— die doch kein anderer plastisch so zu gestalten
vermochte wie er — mit der Architektur in Zu-
sammenhang zu bringen. Schließlich gab er das
Vorhaben seufzend auf und sagte: „Ich kann es
nicht — man muß es machen wie die alten
Italiener. Bei mir werden es immer natura-
listische Kinder!"

Bekanntlich war seine Gewissenhaftigkeit und
Selbsteinsicht in dieser Beziehung bei seinen
Riesenaufträgen leider nicht so stark.

Zu den Auswüchsen der Begasschule, die sich
bald einstellten, kam noch ein anderes Moment,
das eine gesunde Entwickelung der Architektur-
plastik zunächst stark behinderte: die lärmende
und äußerliche Prunksucht des Berlins der Grün-
derzeiten. Die Plastik jener Epoche stellt sich
lediglich als überladener, wilder und naturalisti-
scher „Schmuck" der Bauten dar. Es kommt

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