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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0044

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I. Der Konsensgedanke in Eheschließungsfragen

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Schreiben »Responsa ad consulta Bulgarorum« des Papstes vom November des Jah-
res 866^ berühmt gemacht.
Zunächst klingt der Passus geradezu simpel und scheint keine Fragen offen zu
lassen: Nicht der (erste) Geschlechtsakt der Eheleute, sondern Wille, Konsens bzw.
Zustimmung machen die Eheschließung rechtskräftig. Nikolaus selbst aber füllt
den Satz im Kontext seiner Ausführungen mit komplexeren Inhalten, als es zu-
nächst den Anschein hat. Der eben zitierte Ausspruch stellt dann lediglich den Hö-
hepunkt einer langen Argumentationskette innerhalb des dritten Kapitels seines
Briefes an die Bulgaren dar. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist dieser Satz,
losgelöst vom übrigen Text, zur häutigst zitierten Aussage innerhalb der Erfor-
schung der frühmittelalterlichen Eheschließungsprozesse geworden. Dem kontex-
tuellen Rahmen hat die Forschungsliteratur bislang jedoch wenig Beachtung ge-
schenkt, obwohl gerade er neue Einsichten in die wiederholt geforderte Analyse der
Bedeutung des »ehelichen cowscwsMS in altkirchlicher und frühmittelalterlicher
ZeiW verspricht. Gleiches gilt für den konkreten Inhalt des cowscwsMS-Begriffs. Ge-
rade er kann ein Schlüssel zu verschiedenen Fragen des Eherechts sein, weil er so-
wohl über das konsensuelle Handeln bei der Eheschließung Auskunft geben kann
als auch über die Personen, die am Eheabschluss beteiligt sind. Möglicherweise
werden sich sogar Antworten auf die Frage nach einer Beteiligung der Geschlechter
finden. Beide Aussagen, die gemutmaßte Anfrage der Bulgaren auf der einen und
die Antwort des Papstes auf der anderen Seite, sind überaus geeignet, um eheliche
Fragen im frühen Mittelalter zu beleuchten: Zum einen können sie die gesamte
Bandbreite der Probleme der frühmittelalterlichen Zeitgenossen widerspiegeln;
zum anderen lässt sich an ihnen der momentane Forschungsstand zum Eheschlie-
ßungsrecht - die Frage nach der Geschlechtergleichheit eingeschlossen - verdeutli-
chen. Diese Problemlagen einschließlich der aktuellen Desiderate gilt es zunächst
aufzuzeigen.

1. Der Konsensgedanke als Forschungsaufgabe

a) Bisherige Fragerichtungen
Was eingangs für die Forschungen zur frühmittelalterlichen Ehe im Allgemeinen
gesagt worden ist, trifft gleichermaßen für den Aspekt des Konsenses und damit
der Eheschließung im Besonderen zu: Sie sind nach wie vor und bis auf wenige
Ausnahmen eine Domäne der Rechts- und Geschlechtergeschichte. Geleitet von der
Frage, wie in einer von patriarchalen Strukturen durchzogenen frühmittelalterli-
chen Gesellschaft die Frau überhaupt am Eheabschluss beteiligt sein kann, hat sich
eine inzwischen klassisch gewordene Einteilung der im Frühmittelalter vorherr-
schenden Eheformen festgeschrieben, die immer wieder Ausgangspunkt für die

5 Vgl. ebd., S. 46.
6 LuTTERBAcn, Rezension, Sp. 115.
 
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