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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0132

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132

I. Einordnung und Auszeichnung: Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

b) Gelungene Darbietungen
Die nachhaltig verinnerlichten Dispositionen des Habitus mochten allerdings nicht
allein als unüberwindliche Barrieren des Handelns zu wirken. Sie erzeugten
zugleich wertvolle Kompetenzen der Selbstpräsentation. Dies galt insbesondere im
Kontext höfischer Prestigekonkurrenz, wo die harmonische Kongruenz von Kör-
per, Kleidung und Gebaren zu einem entscheidenden Distinktionsmerkmal erho-
ben wurde. Wer seinen Status nicht allein durch die Wahl des Gewandes, sondern
auch durch angemessenes Betragen in Szene zu setzen verstand, war seinen Riva-
len strukturell klar überlegen. Dabei konnte der positive Eindruck der in Physis
und Manieren verankerten adeligen Sozialisation den statusbezogenen Signalwert
des Kleides ganz oder teilweise überlagern.
Dies zu demonstrieren, sei erneut der Rückgriff auf eine Passage des Troja-Epos
aus der Feder des Konrad von Würzburg gestattet. Der Dichter erzählt darin vom
Auftreten des Königssohns Paris, der seit Kindestagen als Hirt in der Wildnis heran-
gewachsen war, vor dem versammelten Hof des Olymp. Des Prinzen Äußeres steht
bei diesem ersten Empfang in krassem Mißverhältnis zu seinen ererbten Eigen-
schaften von adeliger Schönheit und vornehmer Tugend. Konrad wußte diesen Kon-
trast zwischen Wirkung und Wesen des Jünglings durch einen fingierten Dialog mit
seinem Publikum kunstvoll in Szene zu setzen: »Er trug zu dieser Zeit ein Gewand / das
ihm angemessen war. / Nim sagt, ob es / ans schimmernder Seide herrlich genäht war? / Nein,
sein Rock war / aus einem groben Sack gefertigt / und an seinem Nacken hing / ein grauer
Mantel, nicht eben elegant«53. Tatsächlich ruft der Jüngling in dieser armseligen Tracht
bei vielen der Anwesenden Verwunderung und Spott hervor. Zwar fällt besonders
den Damen des Hofes die körperliche Anmut des Gastes ins Auge, so daß »sie sagten
und urteilten / es sei eine verkehrte Sache / daß so ein herrlicher Jüngling / als ein Hirte
gelte.«54 Trotz kranker waete sticht sin Up und aller sin gebär doch vornehm und makellos
hervor55. Insgesamt erscheint es den tonangebenden Fürsten und Herren aber doch
als wunderlicher spot, daß solch ein armselig bekleideter Bauernbursche einen Platz
nächst dem übermächtigen Göttervater zugewiesen bekomme56.
Die unerträglich wirkende Spannung zwischen Schein und Sein löst sich im
Werk des Konrad von Würzburg erst auf, als Paris nach seinem Urteilsspruch als
Favorit der Venus in »königliche Gewänder« gekleidet wird, um ihn so vor dem Spott
der Rivalinnen Juno und Pallas zu schützen57. Sobald er in der schmuckvollen Auf-
machung erneut vor die Versammlung tritt, erscheint sein Anblick strahlend und
vollkommen. Man preist nun einerseits die Kunstfertigkeit der Venus, die aus

53 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, v. 1650-1659: nü sprechend ob ez wære / von liehter
sîden wol gebriten! / nein, sin roc der was gesniten / uz einem groben sacke / und hienc an sìnem nache /
ein gräwer mantel niht ze guot. / von vilze truoc er einen huot / und zwêne schuohe rinderin, / die wären
zuo den beinen sin / mit riemen dà gebunden.
54 Ebd. v. 1692-1697: si sprächen unde jähen, / ez wære ein schedelichez dine, / daz ein so glanzer jungelinc /
ein hirte solte heizen. / er mähte in allen kreizen /ein künic libeshalben sin.
55 Ebd. v. 1672-1675: swie man in kranker wæte / den jungelinc dâ sæhe, / doch was vin unde wæhe / sin Up
und aller sin gebär.
56 Ebd. v. 1724E: si dûhte ein wunderlicher spot, / daz im so nähe ein hirte saz.
57 Ebd. v. 2904-2909: ê Pallas unde Jüne bitten / dir mit Worten smäheit, / dur daz dû trüegest armiti cleit, /
êgæb ich dir sô riche wät, / daz nieman hie ze hove hät / so rehte keiserlich gewant. Es folgen 140 Verse
detaillierter Kleiderbeschreibung.
 
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