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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0133

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5. Die Dispositionen des Habitus:

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einem Habenichts durch exquisite Kleiderwahl einen Edelmann zu modellieren
vermag. Andererseits aber wird die prinzipielle Richtigkeit dieser Präsentation
adeliger Standeszugehörigkeit erkannt. Paris' »kaiserlicher Schritt« fügt sich in
»königliche Sitten« und aufrechten Wuchs58, so daß man neidlos bekennt, derjenige
müsse von Sinnen sein, »der es jemals gewagt hat, zu behaupten / er verstehe sich aufs
Viehhüten«59. Die visualisierte Vereinigung von vornehmem Habitus und exklusiver
Garderobe ließ demnach die adelige Qualität des Hirtenjungen zweifelsfrei hervor-
treten: »Die Kleider und der herrliche Besucher / die paßten wunderbar zusammen: / das
Gewand ehrte wahrhaft den Mann / und der Mann ehrte wahrhaft das Kleid / so daß sie sich
vollendet ineinander fügten«, so brachte der Dichter die Kongruenz von Körperhal-
tung und Kleider prunk auf eine prägnante Formel60.
Mit ähnlichen Worten hatte Gottfried von Straßburg bereits um 1170 das
Erscheinungsbild seiner Titelfigur Tristan als formvollendete Einheit von Kleider-
schmuck, Leib und Gebaren präsentiert: »Seine Gestalt und sein Gewand / stimmten herr-
lich zu einander / und sie gemeinsam bildeten / den ritterlichen Mann«61. Die gold- und
perlen gestickten Seidenkleider akzentuieren in der Beschreibung des Dichters
trefflich die physische Anmut des jugendlichen Helden. Sie fügen sich darüber hin-
aus aber wie bei Paris perfekt in die kunstfertige Art der Körperhaltung und Bewe-
gung: »Sein Auftreten war vornehm und passend«, so das Resümee des Verfassers62.
Als Angehöriger der adeligen Elite trat Tristan so an die Seite der jugendlichen
Isolde, deren Anmut Gottfried in augenfälliger Analogie zu seinem männlichen
Protagonisten zu gestalten verstand: »In jeder Hinsicht schön geformt, / lang, rank-
gedrechselt, schlank, / betont durch ihre Kleidung, / als hätte sie die Minne sich selbst
geschnitzt / als Ködervogel«63. Zu sinnlicher Grazie und erlesener Garderobe trat
erneut die formvollendete Beherrschung höfischer Bewegungsmuster: Isoldes
Gang »gemessen, weder kurz noch lang«, ihr kontrollierter Blick, die elegante Art zu
grüßen und zu sprechen64. Gelungene Körperinszenierung erscheint hier in per-
58 Ebd. V. 3060-3070: sus kam Paris gezieret dar / gegangen in des planes rinc. / der üz erwelte jungelinc /
gie mit hovelicher state. / üfreht alsam ein sumerlate / was sîn lîp ze mäzen lane. / er liete keiserlichen ganc /
und einen küniclichen site. / er gie mit schcener zühte mite / der minne meisterinne.
59 Ebd. V. 3085-3092: swer in alsus gecleidet hat! / ez wart nie küniclicher wät, / noch keiserlicher man gese-
hen. / swer iemer des getürre jehen, / er kiinne vihes hüeten, / der müeze sich erwüeten / und iuwer êwee-
Uche ertoben.
60 Ebd. V. 3006-3011: diu cleider und der werde gast / diu stuonden wol ein ander an: / daz cleit daz èrte wol
den man / und èrte wol der man daz cleit./si wären beide als üf geleit, / daz si z'ein ander hörten wol.
61 Gottfried von Strassburg, Das Tristan-Epos, hrsg. von Wolfgang Spiewok (Deutsche Texte des
Mittelalters 75), Berlin 1989, v. 11098-11101: sin geschepfede und sin wat / die gehullen wunnecliche in
ein: / si bildeten under in zwein / einen ritterlichen man.
62 Ebd. v. 11142: sin gebar was herlich unde guot.
63 Ebd. v. 10893-10897: suze gebildet über al, / lane, ufgewollen unde smal, / gestellet in der wete, / als sì diu
Minne draete / ir selber ze einem vederspil. Nach: Dieter Kühn, Tristan und Isolde des Gottfried von
Straßburg, Frankfurt a.M./Leipzig 1991, S. 343. Zum Zusammenspiel von Körperschönheit und
Selbstkontrolle vgl. Barbara Haupt, Der schöne Körper in der höfischen Epik, in: Körperinsze-
nierungen in mittelalterlicher Literatur, hrsg. von Klaus Ridder/Otto Langer (Körper-Zei-
chen-Kultur 11), Berlin 2002, S. 47-73, hier S. 57f.; Ingrid Bennewitz, Der Körper der Dame. Zur
Konstruktion von »Weiblichkeit« in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: >Aufführung<
und >Schrift< in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart/Weimar
1996, S. 222-238, hier S. 228ff.
64 Ebd. v. 11989-11999: ir trite die waren linde ir swanc / gemezzen weder kurz noch lane / und idoch beider
maze. / si was an ir gelaze / ufreht und offenbere. / gelidi dem sperwere, / gestreichet alse ein papegan. / si
liez ir ougen umbe gan / als der vallee ufdem aste. / ze linde noch ze vaste / heten si beide ir weide.
 
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