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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0225

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3. Die Spielarten der Auszeichnung

225

c) Zwei Herrscher, zwei Mäntel - Textile Selbstverortung in spätstaufischer Zeit
Modische Fluchtbewegungen: Ergänzung, Erweiterung, Neukombination
Obgleich neuzeitlichen Beobachtern wie dem bayerischen Archivar Karl Heinrich
von Lang die »in ihren zerrissenen Fetzen prangende Kaiserkrönung« der letzten rö-
misch-deutschen Herrscher als trefflicher Beleg einer »eiskalt erstarrten und kindisch
gewordenen« Tradition galten116, enthält gerade sein spöttischer Kommentar zur
Krönung Franz' II. am 9. Oktober 1792 unabsichtlich den Verweis auf die einstige
Wandlungsfähigkeit der kaiserlichen Zeichen117. Mit spitzer Feder notierte er über
die »alttestamentarische Judenpracht« des herrscherlichen Erscheinungsbildes, der
Kaiserornat habe gewirkt, »als wär< er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft,«118 Die
Memoiren des scharfzüngigen Gelehrten referieren damit insofern eine zutref-
fende Beobachtung, als sich der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches tat-
sächlich einer Kollektion textiler Repräsentationsobjekte unterschiedlichster Pro-
venienz und Zeitstellung bediente. Das über Generationen hinweg gewachsene
Sammelsurium an mittelalterlichen Gewandstücken präsentierte sich in diesem
Sinne faktisch keineswegs als einheitlicher Ornat. Es verwies vielmehr auf eine Fle-
xibilität, die über einen längeren Zeitraum offen für Ergänzungen und Erweiterung
war119. Der verheerende Eindruck, welchen das Gesamtbild der kaiserlichen Textil-
schätze bei seinen aufgeklärten Betrachtern hinterlassen mußte, resultierte hinge-
gen aus dem erstaunlichen Beharrungsvermögen einmal im herrscherlichen Reprä-
sentationsgebrauch etablierter Gewandstücke.
Es scheint sich mit Blick auf die Garderobe mittelalterlicher Könige geradezu
eine Art von modischem Rückstau gebildet zu haben. Toleriert wurde zwar die
Adaption zusätzlicher Auszeichnungsmittel, die Ablösung überkommener Kleider-
formen durch modische Innovationen hingegen war offenbar nachhaltig blockiert.
Im Ergebnis bedeutete dies weniger völlige Stagnation als eine ständige additive
Anreicherung des mittelalterlichen Herrscherornats. Kontinuität und Kohärenz als
Kernaussagen königlicher Kleiderwahl120 setzten auch dem Auszeichnungsstreben
der Herrscher enge Grenzen und sorgten für eine Konservierung des althergebrach-
ten Formenschatzes. So wenig eine modische Anpassung an den Zeitgeschmack
gegenüber dem Adel opportun erschien, so sehr hätte eine Rücknahme einmal for-

116 Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang. Skizzen aus meinem Leben und Wirken, meinen
Reisen und meiner Zeit (Bibliotheca Franconica 10), Erlangen 1984, S. 212.
117 Vgl. zu Text und Autor Normann Cappel, Augenzeuge und Chronist: Das Werk des Ritters Karl
Heinrich von Lang, Tübingen 1992; Horst Fuhrmann, Von der Pracht zum Plunder und zurück:
Aachen als Krönungsort, in: Scientia veritatis: Fs. für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hrsg.
von Oliver Münsch, Ostfildern 2004, S. 445-452.
118 Lang, Memoiren, S. 209.
119 Vgl. etwa Rotraud Bauer, Zur Geschichte der sizilischen Gewänder, später Krönungsgewänder
der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, in: Nobiles Officinae. Die königlichen
Hofwerkstätten zu Palermo zur Zeit der Normannen und Staufer im 12. und 13. Jahrhundert,
hrsg. von Wilfried Seipel, Mailand 2004, S. 85-95, S. 85L; Petersohn, Insignien, S. 49-58.
120 Vgl. Keupp, Success; ähnlich auch Kirsten O. Frieling, Zwischen Abgrenzung und Einbindung:
Kleidermoden im Reichsfürstenstand des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, in: Grenze
und Grenzüberschreitung im Mittelalter. 11. Symposium des Mediävistenverbandes vom 14,-
17. März 2005 in Frankfurt an der Oder, hrsg. von Ulrich Knefelkamp, Berlin 2007, S. 122-135,
bes. S. 123L, 135.
 
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