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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0195

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2. Die Spielregeln der Identität

195

sehe Dimension«193 der Herrscherbuße gegenüberstellen, die aus dem »Arsenal der
demonstrativ-nonverbalen Ausdrucksmittel dieser Zeit«194 schöpfen konnte. Tat-
sächlich wird man die Niederlegung der kaiserlichen Zeichen im Jahr 999 schwer-
lich als gescheiterten Versuch beurteilen können, den Herrscherornat dauerhaft
gegen den monastischen Habit einzutauschen195. Zwar hatte der Kaiser mehrfach
seinen Wunsch bekundet, dem imperialen Amt zu entsagen und in den Stand der
Mönche überzutreten196. Doch zeugen seine Absichtserklärungen weniger von
spontaner Bekehrungsbereitschaft als von einer utopischen Zukunftsoption, die
Otto III. erst nach erfolgreicher Erfüllung seiner irdischen Ordnungsaufgaben ein-
zulösen gewillt war197. Daß der politisch versierte Abt sein Handeln als realen
Klostereintritt oder gar als Designationsgestus mißinterpretieren könnte, mußte
der Kaiser kaum befürchten. Insofern liegt die Vermutung nahe. Otto III. habe
»stets nur im Bewußtsein seiner Macht«198 gehandelt. Auch wenn seine Bußübun-
gen einer »himmlischen Öffentlichkeit«199 geschuldet waren, so bildeten sie doch
auch ein probates Mittel säkularer Herrschaftssicherung. Im Kontext der geistli-
chen Kritik am Regierungshandeln Ottos ließen sie den Kaiser gestärkt aus der
Krise seiner christlich legitimierten Amtsautorität hervorgehen. Otto III. nahm prä-
ventiv vorweg, was dem hochmütigen Herrscher in der Erzählung vom >nackten
Kaisen widerfahren war: Dem Herr en wort >Wer sich erniedrigt, der wird erhöht<
folgend, wußte er seine eigene Stellung vor Gott und der Welt zu befestigen.
Die Selbstdevestitur stand somit ganz im Zeichen der Identitätsbehauptung.
Indem Otto »den Sünder demonstrativ über den Herrscher stellte«200, vermochte er
sich selbst innerhalb des latenten Spannungsverhältnisses seiner Amtspflicht als
oberster Garant des irdischen Rechts und seiner Teilhabe an der gratialen Herr-
schaft Christi neu zu positionieren201. Ziel war es dabei nicht, seiner weltlichen
SanktionsVollmacht eine apodiktische Absage zu erteilen. Vielmehr nutzte Otto III.
die Freiräume seiner Stellung als christlicher Kaiser für eine gezielte Akzent-
verschiebung202. Mit seiner demonstrativ gezeigten Reue bewies er Eigensinn und

Sansterre, Otton III et les saints ascètes de son temps, in: Rivista di storia della chiesa in Italia
43 (1989), S. 377-412, S. 410f.
193 Schreiner, Nudis Pedibus, S. 107.
194 Althoff, Otto III., S. 195.
195 Vgl. zusammenfassend Knut Görich, Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus. Kaiserliche Rom-
politik und sächsische Historiographie (Historische Forschungen 18), Sigmaringen 1993, S. 31;
positiver Seibert4 Herrscher, S. 244f.; dezidiert für ein Mönchsgelübte plädiert Sansterre, Otton,
S. 411.
196 Vgl. explizit Petrus Damiani, Vita beati Romualdi c. 25, S. 54; Brun von Querfurt, Vita quinque
fratrum eremitarum, hrsg. von Jadwiga Karwasinka (Monumenta Poloniae Historica NS 4,3),
Warschau 1973, c. 2, S. 34, und c. 7, S. 47.
197 Vgl. die dem Kaiser in den Mund gelegte Einschränkung: Brun von Querfurt, Vita quinque
fratrum, c. 2, S. 34: post tres annos intra quo imperii mei errata corrigam, meliori meo regnum dimittam,
et expensa pecunia quam mihi mater pro heriditate reliquit, tota anima nudus sequar Christum.
198 Görich, Otto III., S. 31, Anm. 101, mit Rekurs auf Menno Ter Braak, Kaiser Otto III. Ideal und
Praxis im frühen Mittelalter, Amsterdam 1928, S. 555.
199 Althoff, Otto III., S. 193.
200 Ebd.S. 194.
201 Vgl. dazu Stefan Weinfurter, Investitur und Gnade. Überlegungen zur gratialen Herrschafts-
ordnung im Mittelalter, in: Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kul-
turellen Vergleich, hrsg. von dems./Marion Steinicke, Köln/Wien/Weimar 2005, S. 105-123.
202 Vgl. ähnlich Schreiner, Nudis Pedibus, S. 107.
 
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