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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

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Angela Max, Gabriel
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MODERNE KUNST.

BILDERERKLÄRUNGEN.

ANG E E A

VON
GABRIEL MAX.

r selten hat sich ein bedeutender Künstler schon in
einer seiner Erstlingsschöpfungen als eine so scharf
ausgeprägte Persönlichkeit erwiesen, wie Gabriel Max
in
jahr 1867 die Besucher des Münchener Kunstvereins
und dann auf seiner Wanderung durch Deutschland
wie auf der Pariser Ausstellung Tausende zu ein-
stimmiger Bewunderung hinriss. Auf einsamer Höhe,
von der sich eine weite Aussicht auf die römische
Campagna eröffnet, umspielt die Morgendämmerung
die zarte Gestalt einer holdseligen Jungfrau, die, ein
Opfer ihres Glaubens, ans Kreuz geschlagen, dem
Tode entgegensieht. Zu ihren Füssen hat sich zerknirscht ein vornehmer
junger Römer niedergeworfen, der auf dem Heimweg von einem fröh-
lichen Gelage begriffen ist und die Rosen, die sein Haupt geschmückt,
vor der bleichen Märtyrerin niederlegt. Die erschütternde Wirkung des
Gegenstandes wurde nicht wenig verstärkt durch die meisterhafte kolo-
ristische Stimmung und eine wunderbare Vollendung des Details, eine
seltene Verbindung von Vorzügen, die nicht verfehlen konnte, den Namen
des bisher unbekannten jungen Künstlers mit einemmale den klangvollsten
innerhalb der heutigen Malerei einzureihen.
Als Sohn des Bildhauers Joseph Max am 23. August 1840 zu Prag
geboren, nahm Gabriel Max in seiner Jugend neben reicher künstlerischer
Anregung deutsche und tschechische Elemente in sich auf, durch deren
eigentümliche Mischung seine künstlerische Individualität — der geistigen
Bildung nach deutsch, dem Naturell nach tschechisch — bestimmt ward.
Nachdem er bis zum Jahre 1858 die Akademie seiner Vaterstadt besucht
hatte, begab er sich nach Wien, wo er als leidenschaftlicher Freund der
Musik eine Reihe von Tuschzeichnungen zu Tonstücken von Beethoven,
Mendelssohn u. a. ausführte. Der phantastisch grübelnde Zug, der schon
diese Kompositionen kennzeichnet, macht es erklärlich, dass der junge
Künstler in der leichtlebigen Donaustadt nicht den rechten Boden finden
konnte. Durch die Werke Delaroches mächtig angezogen, die er in
photographischen Nachbildungen kennen lernte, fasste er den Entschluss,
sich zu diesem Meister nach Paris zu begeben, fand aber unterwegs
während seines Aufenthalts zu München in Piloty den Mann, der ihm
nicht minder als Lehrer geeignet schien, dessen kompositionelle und
koloristische Prinzipien ihn jedoch in weit geringerem Grade als andere
seiner Schulgenossen beeinflussten. Auch ein so blendendes Talent wie
Makart, mit welchem er Jahre lang zusammen arbeitete, vermochte
kaum irgendwelchen Einfluss auf seine Richtung auszuüben, die ihn haupt-
sächlich auf seelische Probleme, fast durchweg melancholischer Art, hin-
wies ; tiefinniges Empfinden verbindet sich bei ihm mit philosophischer
Spekulation zu einer eigentümlichen Mischung, die ihn bei aller klassischen
Formvollendung seiner Werke zu einem echten Jünger der Romantik
stempelt. Der romantische Zug sprach sich zunächst in den Illustrationen
aus, die er zu Uhlands Gedichten, zum Oberon, zu Scheffels Ekkehard
und anderen Dichtungen lieferte. Mit der erdrosselten heil. Ludmilla,

jenem epochemachenden Gemälde, das im Früh-


die dem bereits besprochenen Hauptwerke vorausging, betrat er zuerst
das Spezialgebiet, das er nachmals in mannichfaltigen Variationen be-
handelte, das weite, unerschöpfliche Gebiet menschlichen Leides, das er
in lyrisch gestimmten, meist weiblichen Gestalten verkörperte. So in der
1865 entstandenen Komposition, in der er ein blindes Christenmädchen
vorführt, das am Eingänge der Katakomben brennende Lampen feilhält;
so ferner in jener Zirkusszene, wo ein junges Mädchen zwischen wilden
Tieren mit unbeschreiblich rührendem Ausdruck zu dem Spender einer
ihr zugeworfenen Rose emporblickt. Die schmerzlichen Entsagungen des
Klosterlebens verkörperte er in einer lieblichen jungen Nonne, die im
einsamen Klostergarten ihr verfehltes Dasein betrauert, während in der
barmherzigen Schwester, die ein krankes Waisenkind herzt, das eigene
Weh in der erbarmenden Liebe aufgegangen ist.
Unter den religiösen Kompositionen des Meisters sind äusser mehreren
Madonnenbildern, in denen der Adel der Auffassung an die grossartigsten
Lösungen dieser vielbehandelten Aufgabe erinnert, namentlich hervor-
zuheben die „Erweckung von Jairus’ Töchterlein“, die auf der Pariser
Ausstellung 1878 einen sensationellen Erfolg erzielte, ferner ein ge-
kreuzigter Christus, zu dem die Hände der Seinigen als Symbol der nach
Erlösung ringenden Menschheit emporstreben, der Christuskopf auf dem
Schweisstuche der heil. Veronica und ein Brustbild des gekreuzigten
Erlösers in dem Moment: wo er das Wort: „Es ist vollbracht!“ aus-
spricht. In das Gebiet des Grausigen und Dämonischen fällt die Gestalt
des erhängten Judas, der von gierigen Raben umkreist wird, und
„Ahasver“, der in düsterem Groll an der Leiche eines Kindes über sein
Verhängnis nachsinnt. Von noch unheimlicherer Wirkung sind die schein-
tote „Julia Capulet“, die durch Chamissos Gedicht inspirierte „Löwen-
braut“ und die „Kindesmörderin“, zu welcher die bekannte Bürgersche
Ballade die Anregung bot.
Auch Goethes „Faust“ entnahm der Künstler den Stoff zu einer
Reihe tiefempfundener Gemälde; seinem melancholischen Grundzuge ent-
sprechend, wählte er äusser der Gartenszene nur düstere Momente der
Dichtung zum Vorwurf, so Gretchen bei einbrechender Nacht vor der
Mater dolorosa, ein Bild von mächtig ergreifender Stimmung, ferner die
erschütternde Kerkerszene und die Erscheinung in der Walpurgisnacht,
die bereits ins Geisterhafte hinüberführt, das der Künstler später auch
in seiner „xA.starte“, der „Somnambule“ und anderen Gemälden kulti-
viert hat.
Aus der Tannhäuser - Sage schöpfte Max zwei Motive, die betende
Elisabeth, in vorzüglich durchgeführter Landschaft, und Tannhäuser im
Venusberg, das einzige Bild, mit welchem er auf Makarts Stoffgebiet
abschweift. Als eine der rührendsten Schöpfungen muss noch „Der
Wirtin Töchterlein“ genannt werden, in welchem der Gegensatz von
Leben und Tod zu wirkungsvollstem Ausdruck gebracht und eine Grösse
des Stils erreicht ist, mit der sich Weniges in der neueren Malerei zu
messen vermag. Wie tief Max in den Geist dichterischer Werke ein-
zudringen versteht, hat er auch in seinen Illustrationen zu Macbeth und
Lenaus Dichtungen dargethan.
Auch da, wo unser Künstler aus dem Leben der Gegenwart schöpft,
huldigt er meist seiner trüben, wehmütigen Stimmung, wie z. B. in der
einsamen Klavierspielerin, die zur Winterszeit in den vor ihr stehenden
Andenken an schönere Tage Trost sucht, oder in der „Zwangs-
versteigerung“, die einer armen Malerswittwe die Hinterlassenschaft ihres
Mannes davonführt, und in dem jüngst entstandenen „Vaterunser“ das
ein junges Weib, auf ihrem Lager knieend, in bittrer Qual zum Himmel
emporsendet. Bisweilen spielt, bezeichnend für die spiritistischen Neigungen
 
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