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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

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Gussow, Carl: Austernmädchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0087

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XLIX.
AIJSTE RNMÄD CHE N

VON
CARL GUSSOW.

Carl Gussow.


denken fehlte es wahrlich

Als im Frühling dieses Jahres die bekannte
Gurlitt’sche Kunsthandlung in Berlin eine Aus-
stellung der Realisten, Impressionisten und Hell-
maler veranstaltete, war es ein guter Gedanke,
den Arbeiten der Modernen und Modernsten die
Werke der Männer gegenüberzustellen, welche
vor zehn, fünfzehn Jahren als Revolutionäre
angesehen wurden. Gussow und Lenbach auf
der einen Seite, Fritz von Uhde, Schlittgen,
Skarbina, Liebermann auf der anderen — an
interessanten Vergleichen, an Stoff zum Nach-
nicht. Wie in der Literatur die realistische Schule

ihren Weg zurücklegt, erst das Alte vernichtend, dann im Aufbauen hin-
und hertappend, verschiedenen Idealen huldigend, bald den feineren Geist,
bald den gröberen Stoff betonend, so zeigt auch die moderne Bewegung in
der Malerei mehrere Phasen, mehrere Kategorien von Erscheinungen, die
derselben Wurzel, dem Kampfe gegen die akademische Schablone, ent-
sprossen, im Werden voneinander so verschiedene Resultate zeitigen, dass
jede Uebereinstimmung ausgeschlossen ist. Was einst die Beschauer
enthusiasmirte — der leuchtende Schmelz der Farben auf den Gussow’schen

Bildern —, ist heute Gegenstand heftiger Befehdung geworden; die neue
Schule sieht in dieser Schönheit des Tones einen Verstoss gegen die wahre
Natur, und der Revolutionär der siebziger Jahre gilt ihren Kunstjüngern als
Vertreter des erlogenen Scheins. Wem in diesem Kampfe die Palme des
Sieges zu reichen ist, diese Frage sei hier nicht entschieden —■ der Schön-
heitssinn des Künstlers kann auf beiden Gebieten triumphiren; in dem
lichten Grau kann der poetische Gedanke ebenso rein zum Ausdruck kommen,
wie in der Farbenpracht der alten Schule. Aber von der manirirten Mal-
weise derer, die ohne Selbstständigkeit und individuelles Können im Fahr-
wasser der Pleinairisten ihr Schifflein lenken, hebt sich das Kolorit der
Gussow’schen Bilder um so leuchtender ab. Die vierzehn Gemälde, mit
denen Gussow auf dieser Privatausstellung erschien, zeigten alle jene künst-
lerischen Eigenschaften, welche seine früheren Werke auszeichneten; die
Frische der Beobachtung und die Kraft der Darstellung hatte in dieser
Reihe von charaktervollen Köpfen aus dem Volksleben keine Minderung
erfahren. Dasselbe lehren uns die Porträts, mit denen Gussow alljährlich
die Kunstausstellungen beschickt, und welche stets die allgemeine Auf-
merksamkeit fesseln. Das vom Kampfe künstlerischer Ueberzeugungen
unberührt gebliebene Publikum hat unstreitig an dem modernen Gussow mit
seinen glänzenden, von Anmut und Heiterkeit strahlenden, lichtumflossenen
Bildnissen grössere Freude, als an den grau in grau gemalten Leistungen
der Hellmaler.
Wenig mehr als ein Jahrzehnt trennt uns von der Zeit, da Gussow
nach Berlin kam und Künstlerkreise und Publikum zu revolutioniren begann.
Sein Auftreten wird für das Berliner Kunstleben der siebziger Jahre charak-
teristisch bleiben ; in ganz anderer Weise, als Anton von Werner, Thumann
und andere, hat seine Thätigkeit gewirkt. Gussow war eben ein scharf aus-
geprägtes Talent, das die Kühnheit besass, langjährige Traditionen über
II. 8.

den Haufen zu werfen. Die Beobachtung der verschiedenen modernen
Kunst- und Literaturströmungen, die Erkenntniss, dass noch lange nicht das
letzte, entscheidende Wort gesprochen worden ist, hat unserer gährenden
Zeit äusserlich den Anstrich der Ruhe gegeben; wir wundern uns über
nichts mehr, über keine Künstlerlaune, über keine Schuldoktrin mehr; wir
warten ab, wer und was siegen wird. Aber in der verhältnissmässig stillen
Zeit der siebziger Jahre war eine Revolution ä la Gussow etwas Besonderes,
etwas Aufregendes.wir, die wir jeden Tag dergleichen Revolutionen
erleben, ohne sehr chokirt zu werden, können uns kaum noch in die Zeit
jener Aufregungen zurückversetzen.
Gussow war zweiunddreissig Jahre alt, als er nach Berlin kam. Geboren
im Jahre 1843 in Havelberg in der Mark, war er nach Vollendung der
Schulstudien zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Kunst sein Beruf
sei. Sein Vater legte ihm kein Hinderniss in den Weg, der Jüngling bezog
die Kunstschule von Weimar. Arthur von Romberg, der ihn auf die
Niederländer hinwies, und der von Antwerpen nach Weimar berufene bel-
gische Realist Ferdinand Pauwels wirkten auf Gussow vornehmlich ein. Im
Jahre 1867 verliess dieser Weimar und ging nach München, um die Piloty-
Schule zu besuchen. Aber schon nach vierzehn Tagen gab er den Versuch
auf, dort weitere Förderung zu erhalten, und reiste nach Italien, von wo
er nach sieben Monaten wieder nach Weimar zurückkehrte. Die ersten
kleinen Genrebilder Gussow’s, welche 1870 in Berlin zur Ausstellung gelangten,
wiesen solche Vorzüge aüf, dass der damalige Direktor der Weimarer
Kunstschule, Graf Kalkreuth, dem jungen Künstler eine Professur anbot.
Gussow blieb nun als Lehrer in Weimar, siedelte aber 1874 in gleicher
Eigenschaft nach Karlsruhe über. Anderthalb Jahre später erhielt er die
Berufung an die Berliner Akademie. Vor einigen Jahren legte er sein Amt
nieder, entschloss sich jedoch, privaten Unterricht in der Porträtmalerei zu
ertheilen, der namentlich von jungen Damen sehr begehrt wurde. In neuester
Zeit hat der berühmte Professor auch eine Anzahl jüngerer Künstler als
Schüler angenommen. Aus dem Leben Gussow’s ist noch ein Umstand der
Mittheilung werth, nicht allein deshalb, weil er uns in die Anfänge der
Künstlerlaufbahn des Meisters führt, sondern auch weil er ein charakte-
ristisches Licht auf gewisse im Kunsthandel herrschende Maximen wirft.
Gussow hatte unter dem Druck der Mittellosigkeit in früheren Tagen einen
Kontrakt unterzeichnet, der ihn völlig in die Hände eines englischen Kunst-
händlers gab. Gegen ein Gehalt von 1200 Mark musste Gussow dem
Händler drei Bilder liefern, ferner jenem das Vorkaufsrecht auf sämmtliche
Werke, mit Ausnahme der Porträts, gegen Zahlung eines ,,angemessenen
Preises“ einräumen. Welchen Gewinn der Kunsthändler aus diesem Kon-
trakte zog, lehrt die Thatsache, dass er die meisten der Bilder Gussow’s
um den zwölffachen und kein einziges unter dem zweifachen Preise verkauft
hat. Ein zufällig entstandener Konflikt löste endlich dieses Frohnver-
hältniss. Der Kunsthändler wies zwei der drei ihm kontraktlich zu liefernden
Gemälde als „nicht genügend durchgeführt“ zurück und strengte gegen den
Maler einen Entschädigungsprozess an. Die Sachverständigen entschieden
jedoch, dass die beiden beanstandeten Bilder hinreichend durchgeführt seien,
und das Gericht wies die Klage ab und hob den Vertrag auf. Im Hinblick
auf sonstige moderne Kunst - und Künstlerprozesse — man denke an die
Gemäldefabrik Van Beer’s — darf man sich über diese Erlösung des Künstlers
aus den Banden eines geldgierigen Händlers aufrichtig freuen.
Die ersten Bilder Gussow’s, welche in Berlin Aufsehen erregten, waren
die 1876 ausgestellten Genrebilder mit lebensgrossen Figuren „Das Kätzchen“,
„Der Blumenfreund“ und „Verlorenes Glück“. Auf ersterem sehen wir
einen alten Bauer, ein altes Weib und zwei dralle Mädchen um ein Kätzchen
 
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