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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

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Bilderklärungen
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Orpheus und Eurydike Thiersch, Ludwig
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In der Kirche Beyschlag, Robert
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Der Taschenspieler Vautier, Benjamin
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https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0025

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MODERNE KUNST.

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(1848) hervorgetreten, siedelte er nach Rom über, wo er äusser einem
„Hiob" hauptsächlich Bilder aus dem italienischen Volksleben malte. In
Athen, wohin er 1852 seinen Vater begleitete, schmückte er die Kirche
St. Nikodemus mit Fresken; auch in Wien, St. Petersburg und Kempten
malte er zahlreiche biblische Szenen al fresco, welche Technik ihn auf
eine monumentale Kompositionsweise hinführte, andererseits aber auch
die Neigung für matte Farbentöne erklärt, die in seinen Ölbildern viel-
fach hervortritt. Unter seinen früheren Werken sind besonders zu nennen
„Charon als Seelenführer“, „Bacchus’ Einzug in den Hain von Kolonos"
und die „Klage der Thetis um Achilleus“. Aus dem Leben der bayrischen
Gebirge schöpfte Thiersch Stoff für eine Reihe beifällig aufgenommener
Genrebilder. Eine bedeutsame Episode aus der Völkerwanderung be-
handelte er in dem Gemälde: „Alarich von den Athenern als Sieger
und Befreier vom Römerjoche gefeiert" (1879), eine reiche Komposition
mit lebensgrossen Figuren, die den Gegensatz zwischen germanischer Ur-
kraft und verfallenem Griechentum in echt historischem Geiste veran-
schaulicht. Für die neue griechische Kirche in London vollendete Thiersch
1880 ein grosses Altargemälde „Christus die Kinder segnend“, das nicht
nur in kompositioneller, sondern auch in koloristischer Hinsicht lebhafte
Anerkennung erntete. Unter seinen übrigen Arbeiten religiösen Inhalts
ist noch eine „Kreuztragung“ und eine „Versuchung Christi“ hervor-
zuheben.

XII.

IN DER KIRCHE
VON

ROBERT BEYSCHLAG.

Schon in der VIII. Lieferung unseres ersten Jahrgangs veröffent-
lichten wir von Robert Beyschlag ein anmutiges Genrebild aus der
deutschen Vergangenheit, welche der beliebte Münchener Künstler vor-
zugsweise behandelt und die ihm auch für das in vorliegendem Hefte
reproduzierte Gemälde den Stoff bot. Voll inniger Empfindung und hohen
Formenzaubers, reiht sich dasselbe aufs würdigste den übrigen Arbeiten
Beyschlags an, bezüglich deren wir auf das am angegebenen Orte Ge-
sagte verweisen.

XIII.

DER TASCHENSPIELER

VON
BENJAMIN VAUTIER.
enn Meister Vautier einen Vorgang aus dem Volksleben
schildert, so bleibt dem Beschauer kein Zweifel, dass
die vorgeführten Gestalten der eingehendsten Beobach-
tung der Wirklichkeit entsprungen sind, so sehr es auch
der Künstler im Gegensätze zu der neuesten Mode-
strömung verschmäht, das Triviale oder gar das Häss-
liche und Abstossende als Reizmittel für einen abge-
stumpften Geschmack herbeizuziehen. Dabei ist er
andrerseits ebensoweit davon entfernt, die ländlichen
Typen, die er mit Vorliebe behandelt, im Sinne jener
für den Salontisch berechneten Dorfnovellistik zu ideali-
sieren , die ohne Bedenken die Empfindungs - und An-
schauungsweise der Gebildeten auf ihre Helden überträgt und infolge
dessen nur unwahre Gebilde zustande bringt.
Wie treffend Vautier die charakteristischen Züge in Erscheinung und
Gebahren seiner schlichten Landleute hervorzuheben versteht, zeigt auch
die lebensvolle Komposition, die unser Holzschnitt vergegenwärtigt. Offen-


bar hat die Handlung in dem festgehaltenen Augenblicke ihren Höhe-
punkt erreicht: der wandernde Taschenspieler, der in der schwäbischen
Dorfschenke seine Kunststücke zum besten giebt, steigert das Erstaunen
seines andächtigen Publikums bis zum höchsten Grade, indem er die
Karte, die zuvor unter dem Hute des würdigen Herrn Schultheiss ver-
borgen war, mit der ihm eigenen Gewandtheit aus dem Mieder des
schmucken Mädchens hervorzieht, das sich ebensowenig den Hergang der
Sache zusammenzureimen vermag als die drallen Altersgenossinnen und
der sprachlos dastehende lange Bursche im Hintergründe; ist doch sogar
das erfahrungsreiche alte Mütterchen, das mit gefalteten Händen an der
Wand lehnt, der Deutung eines solchen Rätsels nicht gewachsen. Wie
in der liebevollen Durcharbeitung jeder einzelnen Figur bewährt sich auch
in der wohlerwogenen und doch so ungesucht wirkenden Gruppierung
die ganze Kunst des Meisters, der innerhalb der Düsseldorfer Schule die-
selbe Stellung einnimmt wie Franz Defregger in der Isarstadt und neben
diesem in weitesten Kreisen als einer unserer volkstümlichsten Genre-
maler geschätzt ist.
Am 24. April 1829 zu Morges im Kanton Waadt geboren, erhielt
Benjamin Vautier seinen ersten Unterricht in Genf und setzte seine
Studien, nachdem er zwei Jahre lang als Emailmaler für Schmucksachen
thätig gewesen, im Atelier des dortigen Historienmalers Lugardon fort.
Ein Jahr darauf siedelte er nach Düsseldorf über, wo er vorübergehend
die Akademie besuchte und dann bei Rudolf Jordan sich weiter bildete.
Auf Studienreisen im Schwarzwald und in der Schweiz erwarb er sich
seine innige Vertrautheit mit dem Leben des Landvolks, verweilte 1856
—57 in Paris und nahm sodann seinen dauernden Wohnsitz in Düssel-
dorf. Seit 1866 königlicher Professor, ist er ausserdem Mitglied der
Akademien von. Berlin, Wien, München, Antwerpen und Amsterdam; im
Jahre 1865 ward er durch die kleine, 1866 durch die grosse Medaille
der Berliner Ausstellungen, 1867 in Paris durch die goldene Medaille,
sowie durch Ordensverleihungen Österreichs, Preussens und Bayerns aus-
gezeichnet.
Zeugt die Zahl der Vautierschen Gemälde, die fast in allen grösseren
Sammlungen vertreten sind, von einer seltenen Schaffenskraft, so ergiebt
eine vergleichende Betrachtung dieser Werke, die mit wenigen Ausnahmen
dem Gebiete des deutschen Landlebens angehören, das erfreuliche Bild
einer in beständigem Aufsteigen begriffenen Entwicklung. Aus der ersten
Periode des Künstlers stammen „Die Nähschule“, „Morgentoilette am
Sonntag", „Auktion in einem alten Schlosse", „Der Hauslehrer“, „Karten-
spielende Bauern“, die während der Kirche von ihren Frauen im Wirts-
haus überrascht werden (1862, städtisches Museum in Leipzig), „Bauer
und Mäkler“, „Sonntag-Nachmittag auf dem Lande“, „Der Leichenschmaus“
und anderes. Eine Perle der Berliner Nationalgalerie bildet die 1868 ent-
standene „Erste Tanzstunde“, die in einer Schwarzwälder Wirtsstube vor
sich geht; es folgten „Der Toast auf das Brautpaar“, „Das Zweckessen“,
„Der geschlichtete Streit“, „Der Gang zur Ziviltrauung“, „Eine Verhaftung“,
im Jahre 1875 die von der Dresdener Gemäldegalerie angekaufte „Tanz-
pause auf einer elsässischen Bauernhochzeit“, , Prozessierende Bauern“, „Vor
der Gemeinderatssitzung“, „Der Besuch der Neuvermählten“, „Strickstunde“,
„Das entflohene Modell“, über dessen Auslieferung ein junger Maler in
einer Bauernstube mit den Angehörigen unterhandelt, und der , Liebes-
brief“, den eine Schwarzwälder Maid voll süssen Glückes, doch des
Schreibens augenscheinlich nur wenig kund, in ihrer Kammer aufsetzt,
indes die Schlafgefährtin schalkhaft lächelnd ihr zuschaut. Dass Vautier
ebenso wie auf dem Gebiete des Humoristischen auch in der Darstellung
tiefernster Situationen die glücklichsten Würfe gelingen, beweist u. a. das
1887 vollendete Gemälde „Eine bange Stunde“, in welchem der Schmerz
einer Familie beim Hinscheiden der jungen Gattin und Mutter in er-
greifendster Weise geschildert und offenbar eine herbe Erfahrung des
Künstlers selbst mit verwoben ist, dem kurz zuvor die treue Lebens-
gefährtin durch den Tod entrissen ward.
Mögen Vautiers Gemälde in koloristischer Hinsicht bei ihren meist
bescheidenen, gedämpften Farbentönen von mancher blendenden Virtuosen-
leistung unserer Tage übertroffen werden, so ist dafür seine Meisterschaft
in Komposition und Zeichnung, sowie der Reichtum seiner Empfindung
allseitig anerkannt. Um einen vollen Einblick in seine Kunstweise zu
gewinnen, ist es nötig auch seine vorzüglichen Studienblätter in Betracht
 
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