Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

DOI Artikel:
Fleischer, Philipp: Feierabend am St. Gotthard-Tunnel
DOI Artikel:
Flameng, François: Desmoulins im Kreise seiner Familie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0051

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i6

MODERNE KUNST.

Italiener, welche die schweren Arbeiten verrichteten, während deutsche und
schweizerische Ingenieure die leitenden Stellen innehatten. Bei 310 Hitze
im Scheine elender Grubenlampen und in schlechter Luft arbeiten, heisst
die Gesundheit aufs Spiel setzen, in demselben Masse, wie dies bei den
Förderern der „schwarzen Diamanten" der Fall ist. Die Ausdünstungen
der zusammengepferchten Menschenmenge und die aus dem durchsickernden
Wasser aufsteigende Feuchtigkeit wirkten vollends zerstörend auf die Lebens-
kräfte der Arbeiter ein, und was die direkten Einflüsse der Arbeit nicht
vermochten, bewirkten schliesslich die elenden Wohnungszustände, die un-
zureichende Nahrung und die zweifelhaften Getränke. In den letzten Monaten
vor dem Durchschlag des Tunnels erkrankten nicht weniger als 60 Prozent
der Arbeiter an Blutleere; die Beschaffung von neuen Arbeitskräften war
äusserst schwierig, die Arbeitszeit musste auf fünf Stunden verkürzt und
die Löhne bedeutend erhöht werden. Die Folge davon war, dass die
Unternehmer nicht fertig wurden und schlechte Geschäfte machten.
Auf dem Bilde Fleischers ist diesen Schattenseiten kein Platz einge-
räumt. Man sieht den stämmigen Gestalten, die ihre Spitzhacken auf der
Schulter tragen, an Gang und Haltung nur an, dass sie ein schweres Tage-
werk vollendet haben. Ein Eisenbahnzug hat sie auf der schon theilweise
fertig gestellten Schienenstrasse aus dem Tunnel ans Tageslicht befördert.
Die Auflösung des dichten Haufens in kleine Gruppen hat dem Maler
reichen Stoff zur Charakteristik geboten. Im Vordergrunde die beiden
kernigen Gestalten, welche ein, wichtiges Privatgespräch (oder einen politisch-
socialen Diskurs?) beenden; rechts der abrechnende Aufseher, ferner die
reizende Familienscene, der Mann sein ihm von der jungen Mutter darge-
brachtes lustig-kreischendes Kind hochhebend, und ganz vorn rechts die
ehrbare Frauengruppe, die auch ein kleines, mit den Händen in den Taschen,
selbstbewusst dreinschauendes Bürschchen umfasst. Auf der linken Seite
der Contrast zwischen Heiterkeit und Trauer, Übermuth und Sorgen. Wie
rührend erscheint uns die an der Wirthshausecke sich aufhaltende Frau,
deren vergrämte Züge andeuten, dass trotz ihrer drei Kinder das Familien-
glück ihr etwas Fremdes ist. In bangem Harren mustert sie die An-
kommenden — wird es ihren Bitten gelingen, den Mann von dem Kneipen-
besuch abzuhalten? Die Schänke selbst, mit dem verschmitzt aussehenden
Padrone in der Hausthür, ist mit den wenigen Figuren, die der Maler an-
bringen konnte, vortrefflich charakterisirt. Am Tische die lustigen Zecher,
die Würfler, die Renommisten, die Helden der Phrase, auf der Bank die
Guitarrespielerin mit dem freundlich einladenden Lächeln, während die vor
dem Padrone sitzende Holde unzweifelhaft die „Bedienung von zarter Hand“
repräsentirt und gelangweilt auf das ihr sattsam bekannte Bild starrt.
Der Hintergrund des Bildes zeigt uns nicht nur das Dunkel der Tunnel-
öffnung, sondern auch in leicht verschleierten Umrissen die schneebedeckten
Gebirg-smassen, deren Anblick den Wanderer nicht mehr erschreckt. Auch
in diesem wirkungsvollen Abschluss der Scenerie offenbart sich das grosse
Talent des Künstlers. Dass derselbe nur auf Grund sorgfältigster Studien
das Bild entwerfen konnte, wird jedem einleuchten; an Ort und Stelle hat
Fleischer die Verhältnisse ergründet und dann das Bild in Venedig unter
der unmittelbaren Einwirkung eines Meisters wie Passini und im steten
Verkehr mit dem italienischen Volke gemalt. Was das Geschick bis dahin
dem im Jahre 1850 zu Breslau geborenen Künstler zu versagen schien:
einen durchschlagenden Erfolg — den er trotz jahrelanger Arbeit in
München und Paris nicht gefunden hatte — das verschaffte ihm mit einem
Schlage das St. Gotthard-Bild. Der Name des Künstlers ist heute weit
und breit bekannt und die Heimath nicht minder wie das Ausland begierig,
weitere Thaten des Meisters zu sehen. Seine jüngste Arbeit war ein
grosses Panorama der Schlacht von Bannookborn zwischen Schotten und
Engländern im Jahre 1314, wie denn überhaupt ein grosser Theil der
Bilder Fleischer’s im Privatbesitz in England sich befindet.

XXVIII.
D ESM0ULIN8

IM KREISE SEINER FAMILIE

VON

FLAMENG.

FR.

Desmoulins, einer der hervorragendsten

enoit Camille
Charaktere der grossen französischen Revolution, war
1760 zu Guise in der Picardie geboren, studirte auf dem
College Louis-le-Grand die Rechte, verliess jedoch die
juristische Laufbahn, weil er stammelte, und wurde, von
seiner angesehenen Familie halb aufgegeben, in Paris ein
literarisches Talent dritten Ranges. Für die politischen
Verfassungen der Alten schwärmend, suchte er in der
beginnenden Staatsumwälzung seine klassischen Ideale geltend
zu machen. In diesem Sinne schrieb er: „La philosophie au
peuple frangais“ (Par. 1788) und „La France libre“ (Par. 1789).
Nach der Entlassung Neckers entflammte er am 12. Juli 1789 im
Palais-Royal die Volksmenge durch die heftigsten Reden und unter der Auf-
forderung zur Ergreifung der Waffen, was bald darauf zur Erstürmung der
Bastille führte. Damals gab er auch das Journal: „Revolutions de France et
de Brabant" heraus, ein Blatt, das durch seine ausschweifenden Grundsätze
einen ungeheuren Erfolg hatte, und in welchem er sich selbst den Procureur
general de la lanterne nannte. Von Malouet in der Constituirenden Versamm-
lung 2. August 1790 als Aufwiegler angeklagt, entging er nur durch die
Flucht der Verhaftung. In dieser Zeit heirathete er Lucile Duplessis, ein
junges, schönes, reiches Mädchen, das er leidenschaftlich liebte. Bei den Vor-



gängen vom 10. August 1792 spielte er dieselbe aufwiegelnde Rolle wie sein
Freund Danton; weniger jedoch war er bei den Septembermetzeleien betheiligt.
Von der Hauptstadt in den Convent gewählt, stimmte er für Ludwigs XVI.
Tod, unter Hinzufügung der Worte: „vielleicht zu spät für die Ehre des
Convents“. Seine Anhänglichkeit an Danton und an seinen Schulgenossen
Robespierre bewog ihn, an dem Kampfe gegen die Girondisten, die er
persönlich achtete, theilzunehmen. In einer Flugschrift „Histoire des Giron-
dins“, überschüttete er die gemässigten Republikaner mit tödtlichem Spotte;
doch empfand er hernach, als sie das Schaffot besteigen mussten, die bitterste
Reue. Gegen Ende 1793 liess er die ersten Nummern seines Blattes: „Le
vieux Cordelier“ erscheinen, worin er, im Einverständnisse mit Danton, den
revolutionairen Ausschweifungen entgegentrat. Hebert, den er besonders
angriff, klagte ihn an, die Herstellung des Königthums zu beabsichtigen,
und der listige Robespierre trug in voller Versammlung, nachdem er seinen
Freund anscheinend vertheidigt hatte, auf die Verbrennung aller Nummern
I der Zeitschrift an. „Verbrennen“, rief Desmoulins, „ist nicht widerlegen",
und bald darauf erschien die siebente Nummer des Blattes, in der die
Männer des Terrorismus und die Jakobiner noch heftiger angegriffen wurden,
mit den Schlussworten: „Die Götter haben Durst“. Sofort liess Robespierre
(30. März 1794) Desmoulins und Danton verhaften. Saint-Just, der Des-
moulins persönlich feind war, betrieb besonders seine Verurtheilung. Am
5. April wurde er mit Danton und vielen Anderen hingerichtet, wobei er
■ im Andenken an seine Gattin weniger Entschlossenheit zeigte als gewöhn-
lich. Desmoulins war, wie Danton, von hässlichem Aeussern, aber ein
Mann von grossen Fähigkeiten und edlem Kern, wie sehr auch seine poli-
tischen Ausschweifungen diese Eigenschaften verdunkelten. Seine Gattin,
Lucile, die Alles aufgeboten hatte, um ihren Gatten zu retten, bestieg
, acht Tage darauf mit grosser Fassung das Blutgerüst.
 
Annotationen