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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

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Grützner, Eduard von: Der Klosterhecht
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Tilgner, Viktor Oskar: Hanswurst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0138

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MODERNE KUNST.

„Klosterhecht“, „Ein willkommener Gast“, „Bruder Kellermeister beim Früh-
stück“, „Klosterküche“, „Rasirtag im Kloster“, „Der Klosterschneider",
„Klosterweinlese“, „Das Klosterkonzert“, „Klosterbibliothek“ etc. geben
bereits durch ihre Titel eine Idee von dem, was sie darstellen; sie sind
zumeist auch in weiteren Kreisen bekannt, so dass ein näheres Eingehen i
nicht nöthig ist. Die treffliche Wiedergabe des „Klosterhechtes“ durch j
unseren Holzschnitt zeigt, welchen grossen Werth der Künstler auf die I
Detailmalerei legt; das Interieur ist mit einer vollendeten Anschaulichkeit
zur Darstellung gebracht, welche man bei einem Humoristen nicht ver-
muthen würde.

Dass die zahlreichen Arbeiten Grützner's nicht nur pekuniären Erfolg,
sondern auch gebührende Anerkennung erzielten, ist selbstverständlich.
Grützner erhielt das Ritterkreuz erster Klasse des königl. bayerischen Ver-
dienstordens vom heil. Michael; er ist ferner Ehrenmitglied der königl.
bayerischen Kunstakademie und wurde 1886 zum königl. Professor ernannt.

LXXX.
HANSWURS

VON
VICTOR TILGNER.

künstlerische Ausstattung des neuen Burgtheaters in |
Wien hatte den dortigen Bildhauern reiche Aufträge ge- j
bracht. Jetzt, wo das Institut eröffnet, Alles längst fertig
geworden ist, übersieht man so recht die Fülle der Ar-
beiten, welche sich an dem Prachtbau vorfinden. Karl
Kundmann hat die Statuen des Apollo, der Thalia und
der Melpomene geliefert; Rudolf Weyr ist durch den
Bacchusfries, durch eine Anzahl von Gestalten aus den
hervorragendsten Dramen aller Epochen und Nationen ver-
treten; Johannes Benck fertigte die symbolischen Darstellungen
der menschlichen Leidenschaften (Liebe, Hass, Demuth, Herrsch-
sucht, Heroismus und Egoismus) und Tilgner schuf die Büsten
dramatischer Autoren und einen Cyklus von Gestalten, welche die Blüthe-
Epochen der dramatischen Kunst charakterisiren sollen. Diese kurze Zu-
sammenstellung nur der wichtigsten Arbeiten zeigt, welche hochinteressante
Aufgaben der modernen Wiener Bildhauerschule oblagen. Uns interessirt
hier besonders der durch seine trefflichen Leistungen berühmte Wiener
Bildhauer Victor Tilgner, dessen von uns reproducirte Hanswurst-Statue
als Verkörperung der Anfänge des deutschen Dramas jenem oben ge-
nannten Cyklus angehört. Der Hanswurst mit der Pritsche, seinem Narren-
scepter, in der Rechten, deutet mit dem Daumen der Linken nach rück-
wärts auf Jemand, dem er eben einen lustigen Streich gespielt. Er lacht
über seinen eigenen Spass , und wenn wir ihn betrachten, lachen wir un-
willkürlich mit. — Die weiteren von Tilgner entworfenen Gestalten stellen
Don Juan (Blüthe des spanischen Dramas), Falstaff (englisches Drama)
und Phädra (französischer Klassicismus) dar. Zwei von Gasser gearbeitete
Figuren Prometheus (antikes Drama) und Genovefa mit der Hirschkuh
(mittelalterliches Mysterium) vervollständigen diesen Cyklus.
An der Darstellung der Gestalten aus den Dramen waren neben
Tilgner noch Weyr, Costenoble und Silbernagl thätig; die Autorenbüsten
lagen dagegen ganz in der Hand Tilgner’s. Ersterer Cyklus enthält von
ihm: Juda Makkabäus und Lea, Pachter Feldkümmel und Gurli, Kaiser Max i
und das Mädchen aus Landfrieden, Käthchen und den Grafen von Strahl.
Die Galerie der Unsterblichen, der zweite Cyklus, enthält die Büsten von
Goethe, Lessing, Moliere, Shakespeare, Calderon, Schiller, Hebbel, Grill-
parzer, Halm. Wie man ersieht, ist Tilgner bei der Dekoration des neuen
Burgtheaters reichlich vertreten, ganz abgesehen von zahlreichen kleinen


Arbeiten, für welche er die Skizzen lieferte. Dass er Vortreffliches ge-
schaffen, ist allseitig anerkannt worden, und sein Ruf dürfte noch eine
Steigerung erfahren haben, falls dies überhaupt möglich sein kann, da
Tilgner bereits 1886, als er in Berlin die goldene Medaille erhielt, zu den
bedeutendsten Bildhauern Wiens zählte.
Tilgner hat viel Beifall, aber auch viel Gegnerschaft gefunden, letztere
wegen der malerischen Richtung seines Talentes, wegen seiner Neigung
zum Dekorativen, welche gerade in einigen seiner vorzüglichsten Arbeiten,
wie in den Porträtbüsten der Tragödin Charlotte Wolter und des Kunst-
mäcens Grafen Edmund Zichy, auffallend zum Ausdrucke gelangt. Tilgner’s
natürliche Begabung drängte eben nach dem Malerischen, und der Künstler
liess sich durch nichts darin beirren, dieser Begabung zu folgen. Mit Ueber-
windung vieler Schwierigkeiten hat er sich seinen Weg gebahnt und sich
selbst durchgesetzt gegen die Vertreter strenger akademischer Regel. Ge-
boren 1844 in Wien, kam er frühzeitig an die Akademie der bildenden
Künste; noch als Schüler erhielt er den Auftrag, die Büste Bellini’s für
das neue Opernhaus zu liefern, dann wurde ihm eine für das Arsenal be-
stimmte Statue Herzog Leopold’s VI. übertragen. Alle Fachleute erkannten
das Talent des jungen Mannes; aber seine malerischen Neigungen wurden
in solchem Masse und so unablässig getadelt, dass Tilgner den Muth ver-
lor, in dem Kampfe um eine künstlerische Stellung auszuharren, und sich
einem anderen Berufe zuwenden wollte, trotzdem die vielen Preise, die er
an der Akademie errungen, ihn in dem Glauben an seine Zukunft hätten
bestärken sollen. Da kam der französische Bildhauer Deloye nach Wien.
Er war dahin berufen worden, um bei den Vorbereitungen für die Welt-
ausstellung 1873 mitzuwirken. Der plastische Schmuck des Ausstellungs-
gebäudes sollte unter seiner Aegide hergestellt werden. Abgesehen von
der Lösung dieser Aufgabe übte Deloye einen bestimmenden Einfluss auf
viele österreichische Künstler, darunter auf Tilgner. Dieser fand in Deloye
eine ihm verwandte Natur, deren Schaffen Anerkennung erlangt hatte;
seine Schwingen regten sich wieder, und eben damals schuf er die Büste
der Frau Wolter.
Man gewöhnte sich, Tilgner zu nehmen, wie er war, mit all seiner
Eigenart, und sogar seine Kollegen hörten endlich auf, an seiner künst-
lerischen Wesenheit zu mäkeln. Vorher hatte nicht nur seine Richtung,
sondern auch ein Theil seiner Technik unter den Nachbetern des Ueber-
kommenen Opposition erweckt. Da der weisse Gips seinem Auge miss-
fiel, patinirte er die Abgüsse seiner Werke; Anfangs schrie man hierüber
Zeter und Mordio, heute hat Tilgner Nachahmer, die sozusagen „seine
Patina noch überpatiniren“. Sein Sinn stand aber immer nach Höherem
als nach dem Porträt; dieses gab ihm Brot, aber er wollte heranreifen zu
vollgewichtigen Schöpfungen in grösserem Stil. Im Jahre 1874 ermög-
lichte der kunstfreund liehe Freiherr von Leitenberger ihm, eine Kunst reise
nach Italien zu unternehmen. Tilgner machte diese Fahrt in Gesellschaft
Hans Makarts, nahm Eindrücke und Anregungen in Hülle und Fülle in
sich auf, und sobald er nach Wien zurückgekehrt war, machte er sich an
ein Werk, das beweisen sollte, sein Können gehe über das Porträtiren
weit hinaus. Er modellirte eine Brunnengruppe: „Triton mit der Nymphe“.
Als Kaiser Franz Josef das Atelier Makarts besuchte, in welchem Tilgner
damals als Gast arbeitete, sah er das Modell, bestimmte, dass es in Bronze
für den Volksgarten ausgeführt werde, und bestellte seine eigene Statue
bei dem jungen Künstler, der ihm durch Makart persönlich war vorgestellt
worden. In der nächsten Zeit folgten: „Amor als Mars“, „Elsässerin“,
„Italienischer Jäger aus dem vierzehnten Jahrhundert“, und nachdem Tilgner
einmal festen Fuss gefasst, erhielt er vielfache Aufträge für die grossen
Neubauten, welche die architektonische Entwickelung Wiens bezeichnen.
Der intime Verkehr mit Makart, dem Koloristen, hatte seinen Hang zum
Malerischen eher erhöht als abgeschwächt; aber Tilgner liess sich durch
Makart eigentlich ebenso wenig bestimmen wie früher durch seine Pro-
fessoren. Ganz aus sich heraus schöpfte er die seinen Werken anhaftende
merkwürdige Vereinigung eines kecken, flotten Naturalismus mit der an
die Barockzeit gemahnenden Drapirung, Schmückung und Inscenirung.
Tilgner ist eben eine starke Natur, die sich nach ihren eigenen Bedingungen
entwickeln musste und jede Bevormundung abschüttelte.
 
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