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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Kempf, Anna: Ein bisher unbekannter Entwurf Christian Wenzingers für einen Chorpfeileraufsatz am Freiburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0056

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Anna Kempf

so wäre gewiß, bei der individuellen Art seiner Persönlichkeit, die Lösung der Aufgabe glücklicher aus-
gefallen. Die vielfache Verwendung echt barock empfundener Schmuckmotive inmitten gotischer Elemente,
namentlich aber die Bekrönung des Aufsatzes mit einer Figur, dünkt uns heute seltsam; sie ist jedoch,
das läßt sich nicht leugnen, von großem Reiz und läßt ahnen, wie unter Umständen eine allmähliche
Durchführung der Pfeileraufbauten mit bekrönenden Standbildern möglich gewesen, wenn sie durch Wen-
zingers Hand in der vollen Kraft seines Lebens erfolgt wäre.
Der Entwurf Wenzingers kam nicht zur Ausführung. Aus welchen Gründen ist nicht bekannt.
Erst im Jähe 1813, also 27 Jahre später, wurde der Pfeileraufsatz nach einem im allgemeinen von dem
Wenzingerschen Riß abgeleiteten Plan des damaligen Münsterwerkmeisters Alexander Riesch er ausgeführt
(Abb. 5). Er kann uns aber nicht in dem Grad befriedigen wie der trotz allem originelle Entwurf Wenzingers.
Das Bildnerische, überhaupt all die für Wenzinger charakteristischen Merkmale verschmähte der zweite
Planfertiger. In den Einzelheiten, Fialen, Krabben und Kreuzblumen, ist jede Erinnerung an die voraus-
gegangene Stilepoche erloschen. Diese Umbildung kann uns nicht wundern, geschah sie doch zu einer
Zeit, da die Neugotik mit ihren Bestrebungen nach Stileinheit und Stilreinheit schon stark eingesetzt hatte.
Wie übertrieben rücksichtslos man dabei zu Werke ging, setzt schon die eine Tatsache in hellstes Licht,
daß man die ernste, kaum glaubliche Absicht hatte, den kunstvollen Rokokotaufstein Wenzingers (1768)
in einen gotischen umzugestalten. Die Renaissance und die darauf folgenden Stilwandlungen waren in
den Augen der Zeitgenossen »Verunstaltungen«, die man geringschätzig mit der Benennung »Zopf« abtat.
Unter diesem Einfluß mußten die Denkmäler dieser Perioden größtenteils aus dem Münster verschwinden.
Um der Stileinheit willen verwandelte sich bei dem Riescherschen Entwurf die bekrönende Figur
Wenzingers in eine Fiale, und die mit Rokokomotiven durchsetzten Krabben und Blumen mußten trockenen,
neugotischen Gebilden weichen. Abbildung 6 zeigt die Ausführung nach dem letzteren Entwurf, eine
Arbeit, die ein besonderes Interesse nicht beansprucht.
Noch mag erwähnt sein, daß der nächste Strebepfeileraufsatz erst wieder im Jahre 1844, die folgenden
in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts und der letzte, gestiftet von Domkustos Ludwig
Wanner, im Jahre 1889/90 entstanden sind. Nur drei Pfeiler befinden sich noch in unbelastetem Zustande.
Auch ist das Treppentürmchen auf der Nordseite des Chores neben der Alexanderkapelle, das den Zugang
von der Heimenhoferkapelle zur Plattform vermittelt, noch nicht ausgebaut. Die ausspringenden Kapellen-
ecken dagegen haben ihre Fialenaufsätze über der Abschlußgalerie der Chorkapellen schon in den siebziger
und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts erhalten.

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