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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Schoenberger, Guido: [Rezension von: M. J. Friedländer (Hrsg.), Die neuen Zeichnungen Matthias Grünewalds]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0244

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Buchbesprechungen

Buchbesprechungen

Die neuen Zeichnungen Matthias Grünewalds.
Die Publikation der neu aufgetauchten Zeichnungen Grü-
newalds1, die herausgegeben von M. J. Friedländer der Ver-
lag Grote um die Jahreswende präsentierte, ist gleichermaßen
wundervoll für alle Freunde der Kunst, wie wichtig und auf-
schlußreich für die, die sich wissenschaftlich um die Erfor-
schung dieses einzigartigen Künstlertums bemühen. Der
außerordentliche Fund, der auf einen Schlag die Zahl der
bisher bekannten Zeichnungen um 9, nahezu um die Hälfte
also, vermehrte, wird durch die ausgezeichneten Reproduk-
tionen in Originalgröße für einen weiten Kreis fruchtbar
gemacht. Die Einleitung Friedländers gibt mit der Sach-
lichkeit, von der wir so viel lernen können, die Geschichte
der Entdeckung der Blätter, von denen er 7 für das Berliner
Kupferstichkabinett erwerben konnte, während 2 in die Samm-
lung F. Koenigs nach Haarlem gelangten; sie gibt weiter die
wichtigsten Hinweise über die Zugehörigkeit der Blätter zu
Gemälden des Meisters, sie gibt schließlich vor allem eine
ausgezeichnete Analyse von Grünewalds Zeichenart und hinter
der kühlen Wissenschaftlichkeit spürt man die Begeisterung
des Kenners. Ein Verzeichnis der Tafeln ist beigegeben, das
alle Blätter mit erwünschter Genauigkeit katalogmäßig be-
schreibt. Sehr zu begrüßen ist es, daß auch die bereits be-
kannte wundervolle Zeichnung einer klagenden Frau aus der
Sammlung Licht, die gleichfalls aus der Sammlung Savigny
stammt und schon früher in einer verkleinerten Reproduktion
von Friedländer veröffentlicht war8, jetzt in Originalgröße
mit. in die Publikation aufgenommen wurde.
Über die Ausführungen Friedländers hinaus seien ein paar
Bemerkungen zugefügt: Mit der Erkenntnis der Zugehörig-
keit der Zeichnung der Sammlung Licht (Friedländer Taf. 2)
zum Isenheimer Altar war eine Korrektur der bisherigen
Anschauungen über die Chronologie der Grünewald-Zeich-
nungen gegeben8, denn damit mußten auch die eng verwand-
ten Frauenstudien in Lützschena und Oxford (Publikat. der
Ges. f. zeich. Künste Taf. 10, 11, 18) aus dem Spätwerk aus-
scheiden und in die Zeit des Isenheimer Altars rücken. Der
Vergleich mit der jetzt bekannten im Format ähnlich groß-
artigen Studie zum Johannes in der Karlsruher Kreuzigung
(Friedländer Taf. 6), einer sicher späten, frühestens in den
Anfang der 20 er Jahre gehörigen Zeichnung, bestätigt durch-
aus den zeitlichen Abstand der Blätter und beweist, daß in
den Zeichnungen Grünewalds der Weg ebenso vom Plasti-
schen zum Malerischen ging, wie ihn in der Malerei der

1 Die Grünewald-Zeichnungen derSammlungSavigny, her-
ausgegeben von M. J. Friedländer, Berlin: Grote 1925.
2 Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 59, 1918.
8 Vgl. darüber meine Ausführungen in den Beiträgen zur
Gesch. d. deutschen Kunst Bd. I S. 164.

Unterschied von Isenheimer und Karlsruher Kreuzigung deut-
lich genug aufweist.
Die Studie zur Stuppacher Madonna (Friedländer Taf. 4)
ist zeitlich ebenso mit den Gewandstudien zum Isenheimer
Altar zu verknüpfen, wie mit der Berliner Studie zu einer
Marienkrönung1 und dem Wiener stehenden Heiligen, die
beide vermutlich zu dem 1514 von Retzmann gestifteten
Ober-Issigheimer Altar gehören. (Publikat. der Ges. f. zeich.
Künste, Taf. 6, 9, 10, 11, 18.)
Der Piückenakt eines stehenden Mannes mit Pfeife (Fried-
länder Taf. 5) gehört wohl in die Frühzeit. Er könnte für
eine Verspottung Christi gezeichnet sein. Die Münchener
Verspottung enthält eine Musikantenfigur, die allerdings im
Hintergrund en face steht. Man vergleiche aber, wie in Bild
und Zeichnung die knochenartige Pfeife mit langen gespreiz-
ten Spinnenfingern gefaßt wird. Auch zeigen beide Pfeifer
merkwürdig negerhafte Züge. Das Münchner Bild offenbart
außerdem in der Figur des Schergen, der Christus wegzerrt,
deutlich das Interesse Grünewalds an der Rückenansicht in
dieser Zeit. Freilich bleibt die Möglichkeit der Zugehörigkeit
zu einer uns unbekannten Verspottung oder Kreuztragung
keineswegs ausgeschlossen. Auf die Verwandtschaft mit der
Figur des Pfeifers auf Dürers Jabachschem Altar sei aufmerk-
sam gemacht2.
Von einem der drei von Sandrat erwähnten Mainzer Al-
täre erhalten wir durch den Zeichnungsfund zum ersten Male
sichere Vorstellung: Für die Madonna in den Wolken mit
weiblichen Heiligen. Der Entwurf für die Hauptfigur, die
schwebende Madonna (Friedländer Taf. 7), deren Gewand im
ringsum flutenden Licht zerfließt, gibt auch in der Zeich-
nung einen deutlichen Abglanz der Schönheit des ausgeführten
Gemäldes. Interessanter noch, weil eine bis jetzt unbekannte
Stilphase des Meisters anzeigend, sind die beiden weiblichen
Heiligen, die hll. Dorothea (Abb. 1) und Katharina (Friedländer
Taf. 8, 9). Bei beiden sind die weiten Mäntel durch ein System
von dicht gereihten parallelen Falten belebt. Eine Eigen-
tümlichkeit weltlicherTracht, plissierte Mäntel und Kleider, die
schon im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu belegen ist,
dann aber hauptsächlich im weiteren Verlauf des 16. Jahr-
hunderts Mode wird, wird hier von Grünewald in der eigen-
willigsten Weise dazu benutzt, um seine Gestalten mit Licht
und Schattenlinien förmlich zu überspinnen. Während der
künstlerische Sinn der Tracht zweifellos das ruhige Herab-
fließen der Faltenlinien von den Schultern zum Boden gewesen

1 Diese steht durch eine Äußerlichkeit in Zusammenhang
mit der Dorothea des Mainzer Altars (Friedl. Taf. 8); beide
Male wird die Christusfigur durch ein Arstrolabium charak-
terisiert.
2 Dürer. Klassiker der Kunst S. 14.

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