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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Schoenberger, Guido: [Rezension von: M. J. Friedländer (Hrsg.), Die neuen Zeichnungen Matthias Grünewalds]
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Noack: [Rezension von: Emil Major, Erasmus von Rotterdam, Bd. 1: Virorum illustrorum reliquiae]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0245

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Buchbesprechungen

ist und häufig auch so von den Künstlern gebildet wurde,
bringt Grünewald durch die mächtige Bauschung und Be-
wegung der Gewänder fortwährenden Richtungswechsel in
das Fallensystem, so daß ein sprudelnder, ungemein lebendiger
Gesamteindruck entsteht. Schon bei der Dorothea, stärker
aber bei der Katharina, und hier bis zu einer gewissen Ver-
härtung der Form, treten muschelartige Bildungen auf, die
die Figuren mit Blättern des Stechers H. L.1 und mit den
plastischen Werken des Meisters des Breisacher Hochaltars
in Zusammenhang bringen. Sieht man diesen Zusammenhang
enger, nicht nur als den Ausdruck eines gemeinsamen Stil-
gefühls, eben der letzten und zuweilen etwas manierierten
Phase der Spätgotik, sondern als direkte künstlerische Beeinflus-
sung, so wäre es interessant zu wissen, wann der Altar Grüne-
walds entstanden und ob vielleicht gerade von ihm aus jene be-
sondere Art abzuleiten ist, die um 1525 mit den Werken des
Breisacher Meisters ihren Höhepunkt erreicht2. Ich glaube, man
kann erkennen, daß der Mainzer Altar nicht allzuweit vom
Isenheimer in das Grünewald-Werk einzureihen ist. In die-
sem nämlich schon beginnt das Spiel mit den enggereihten
Parallelfalten; deutlich z.B.sprechend beim Gewand Christi in
der Auferstehung, dem Mantel der Maria im Garten und vor
allen Dingen bei dem Gewand der Magdalena der Kreuzigung;
weiter ist es auch bei der Bildung der Ärmel häufig zu beobach-
ten, z.B. bei der Maria und der Magdalena der Kreuzigung, und
hier kann man es schon bei den Studien nachweisen, die wir in
den großen Blättern mit den klagenden Frauen besitzen. Die
sicheren Spätwerke aus den 20 er Jahren dagegen kennen
diese Stileigentümlichkeit offenbar nicht mehr, und in dem
zu immer größerer malerischer Breite entwickelten Spät-
stil Grünewalds ist eine so stark im Linearen wurzelnde Art
auch keineswegs gemäß. Es scheint also, daß Grünewald
ein im Isenheimer Altar noch inkonsequent zur besonderen
Belebung seiner Gewandflächen hier und da eingestreutes
Motiv in den Heiligenfiguren des Mainzer Altars zu einem
die ganze Figur beherrschenden System ausgebildet hat. Will
man ein Datum nennen, so würde m. E. die Nachricht gut
dazu passen, die Tiemann3 jüngst veröffentlicht hat, daß Mat-
thias Gothard Maler, dessen Identifizierung mit Grünewald
immer berechtigter erscheint, schon 1516 Zahlungen vom
Mainzer Domkapitel erhält.
Die herrliche Zeichnung zu einer Verkündigungsmadonna
(Friedländer Taf. 5), bei der die Falten noch freier als bei
den Mainzer Heiligen mit einer wundervoll zarten Beseelt-
heit niederrieseln, die Wellen des gelösten Haares zum Boden
leitend, mag zeitlich zwischen der Magdalena des Isenheimer
und der Dorothea des Mainzer Altares stehen. Zu welchem
Gemälde sie als Studie gehörte, wissen wir nicht. Jedenfalls
aber zählt es zu den ganz großen Glücksfällen in der Ge-
1 Lößnitzer, Hans Leinberger. Berlin 1913. Taf. II, 9 und
VI, 16.
2 Vgl besonders die Maria des Niederrotweiler Altars,
die auch im Gefühlsausdruck der Dorothea Grünewalds ver-
wandt ist.
3 G. Tiemann, Zur Grünewaldfrage. Cicerone 16, 1924.

schichte der Kunst, daß sie aus ihrer Verborgenheit ans
Licht kam.
Durch den Stil der Mainzer Zeichnungen aufmerksam ge-
macht, fiel mir ein Blatt ins Auge, das Ganz in der Publi-
kation der Holbeinzeichnungen abbildet1: ein Entwurf zu einer
Scheibe, Maria mit dem Kind auf dem Arm in einer Re-
naissancearchitektur vor einer Landschaft stehend, umhüllt
von einem weiten Mantel, dessen Plisseefaltenwerk reich und
üppig, wechselvoll sich häufend und mit Neigung zu muschel-
artigen Bildungen stark an die Gestaltung der Dorothea er-
innert. Ganz hat sicherlich mit Recht betont, daß das erhal-
tene Blatt keine Originalzeichnung, sondern eine ziemlich
schülerhafte Kopie sei. Ich halte es für möglich, daß das
Original Holbeins auf den Eindruck einer der Heiligen Grüne-
walds zurückgeht, die im Mainzer Dom vor aller Augen waren.
Holbein zeigt auch sonst in der ersten Basler Zeit bis zur
Madonna des Bürgermeisters Meyer hin große Neigung zur
künstlerischen Ausgestaltung des Motivs der Plisseefalten,
zuweilen durchaus an Grünewalds Art erinnernd; kaum ir-
gendwo so stark, das läßt noch die Kopie erkennen, wie in
der leider verlorenen Basler Zeichnung (Abb. 2).
Guido Schoenberger.
Emil Major: ERASMUS VON ROTTERDAM. — Virorum
illustrorum reliquiae. Band 1. Basel, Frobenius A.-G.
(90 Seiten, 32 Tafeln.)
Das Buch veranschaulicht in knapper Darstellung das
Leben des großen Humanisten. Die sehr guten Abbildungen
geben zunächst in den wichtigsten Porträts sein äußeres
Bild: Gemälde, Zeichnungen (auch die Hände von Hans
Holbein d. J.!), Holzschnitte, Medaillen der bedeutendsten
zeitgenössischen Künstler, wie Dürer, Holbein d. J., Quentin
Massys, illustrieren die nahen Beziehungen zu dem Gelehrten;
Holbein hat ihn immer wieder porträtiert. Von besonderem
Interesse ist die Kenntnis seiner Wohnhäuser, der Geräte
und Gebrauchsgegenstände aus seinem Besitz, die uns das
Bild des äußeren Lebens eines kultivierten Gelehrten der
Renaissance geben. Es finden sich darunter köstliche kunst-
gewerbliche Arbeiten, Ringe, Schaumünzen, ein Deckelbecher
u. a. Testamente, Hausrat- und Nachlaßinventare, die im
Wortlaut abgedruckt sind, zeigen, daß das Erhaltene nur
einen geringen Bruchteil des ursprünglich reichen Bestandes
darstellt. Schriftproben, Urkunden (Doktordiplom), die Grab-
tafel vervollständigen das Bild. Neben der Bedeutung für
die Erkenntnis von Erasmus’ Persönlichkeit vermittelt das
Buch auch interessante Einblicke in die Kultur und das gei-
stige Leben der Nachbarstädte Basel und Freiburg i. Br.,
die gerade zu Beginn des 16. Jahrhunderts in engsten Be-
ziehungen standen, als z. B. das 1529 durch die Reformation
vertriebene Basler Domkapitel in Freiburg eine Zufluchts-
stätte fand, und die Universität sich einer besonderen Blüte
erfreute. Das sehr gut ausgestattete, interessante Werk ist

Lieferung XX, 2.
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