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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Bendel, Max: Tobias Stimmer und die venezianische Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0144

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Max Bendel

faltete sich in der herrlichen Lagunenstadt eine gewaltige Pracht. Luxus und Verschwendung steigerten
sich ins Ungeheure. Das kam natürlich den Künsten und besonders der Malerei zugute und äußert sich
hier durch eine frohe Sinnlichkeit in Form und Farbe. Paläste, Häuser und die Villen des benachbarten
Festlandes werden innen und außen mit Malereien bedeckt. 1507 wird von Tizian und Giorgione der
Fondaco dei Tedeschi mit Fresken geschmückt. Der Dogenpalast erhält durch die verschiedenen Maler-
größen Venedigs seinen Gemäldeschmuck. Der Palazzo Trevisan in Murano wird 1557 von Zelotti und
Paolo Veronese ausgemalt1. Aber auch in andern Städten Venetiens, so in Vicenza, arbeiten diese beiden
Künstler, die uns hier besonders interessieren werden, an Palästen und Kirchen zusammen. Die vielen
Freskomalereien sind alle durch die ungünstigen klimatischen Verhältnisse zugrunde gegangen. Schon im
18. Jahrhundertwaren nur noch Fragmente davon zu sehen. Diese sind uns in den Radierungen Zanettis2
erhalten geblieben. Es sind aber nur Fragmente und lassen keinen Schluß über die Anordnung auf der
Fläche zu; kaum waren die noch vorhandenen Gestalten zu identifizieren. Jakob Burckhardt hat seiner-
zeit nur noch hie und da Farbflecke an den Mauern konstatieren können. Doch können wir uns an
Hand der zahlreichen anderen Werke der großen venezianischen Meister jener Zeit ein Bild machen, um
es zum Vergleich mit den Stimmerschen Fresken beizuziehen.
An den Malereien der »Ritter« sind uns die warmen Töne, die gebrochenen Farben und der
breite, kräftige Auftrag mit den blitzenden Lichtern, als für die oberrheinische Malerei des 16. Jahr-
hunderts fremdartige Elemente, aufgefallen. Das sind nun gerade Hauptmerkmale der venezianischen Malerei
dieser Zeit.
Ein wirbelndes Leben rauscht uns aus den flatternden Gewändern dieser Frauen entgegen. Die
allegorischen Gestalten, wie die Gloria, Immortalitas, ja auch die sitzenden, die Fortitudo und Prudentia,
sind alle lebhaft bewegt, sie sprühen voll heißer Sinnenlust. Keine andere Malergeneration des 16. Jahr-
hunderts als die venezianische hat die Frauen so dargestellt. Die Florentiner und die anderen Oberitaliener
und mit diesen Holbein und die deutschen Renaissancemeister hätten diesen allegorischen Gestalten eine
strenge Hoheit oder ruhige Schönheit gegeben. Hier aber pulsiert venezianisches Leben, wie es von Tizian
und seinen Schülern, Veronese und anderen so meisterlich geschildert worden ist.
Bei Veroneses und Zelottis Gestalten beobachten wir immer neben der vorwärtsschreitenden noch
eine kreiselnde, wirbelnde Bewegung, die die Gewänder weit aufflattern läßt und gewöhnlich das eine
Bein, sei es Stand- oder Spielbein, weit bis zum Oberschenkel entblößt. Ganz dasselbe sehen wir an der
Stimmerschen Immortalitas, der Gloria, Circe oder der Gestalt der geistlichen Macht im großen Bilde des
ersten Stockwerkes.
Unser Meister hält sich aber nicht sklavisch an seine Vorbilder; überall bringt er Eigenes hinzu.
Am größten ist die Verwandtschaft mit den Resten der untergegangenen Freskenmalereien Venedigs. Bei
den Innendekorationen und Tafelgemälden kann es sich nur um Übernahme einzelner Motive handeln,
wie sie Stimmer in der Erinnerung vorschweben.
Doch gehen wir zu den einzelnen Bildern selber über. Betrachten wir zunächst einmal die beiden
sitzenden allegorischen Frauengestalten über den beiden Fenstern des Giebelfeldes, die Fortitudo und die
1 Detlev Freiherr v. Hadeln, Veronese und Zelotti. Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen Bd. XXXV,
S. 168 ff. und Bd. XXXVI S. 97 ff.
2 Varie pitture a fresco. Venedig 1760.

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