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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Homburger, Otto: Über eine "Krönung Mariä" Jörg Zürns und verwandte Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0149

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Über eine „Krönung Mariä“ Jörg Zürns und verwandte Werke

Von der Taube des Heiligen Geistes ist freilich nur noch die Ansatzstelle des Schwanzgefieders zu erkennen,
ebenso fehlt die Krone über dem Haupt der Madonna, und die sie haltenden Arme sind abgebrochen
bzw. gekürzt. Angeblich stammt das Relief aus Konstanz; etwas Näheres darüber war nicht zu erfahren,
dagegen lesen wir auf der Weltkugel, auf die der rechte Fuß Christi aufgesetzt ist, die Buchstaben G. Z.
und von ihnen eingerahmt die Jahreszahl 1622. Die gleichen Initialen, wenn auch verschlungen, finden
sich in einer Kartusche hoch oben am Hochaltar des Überlinger Münsters, der bei Jörg Zürn 1613 um
1200 Gulden in Auftrag gegeben und sechs Jahre später beendet worden ist1. Während die aus Freifiguren
gebildete Krönungsszene dieses bedeutsamsten Werkes unseres Künstlers mit der noch aufgerichteten, schwe-
bend gedachten Madonna zum Vergleich mit der zuvor besprochenen Tafel sich weniger eignet, über-
rascht die enge Beziehung im Gegenständlichen, die das Karlsruher Stück mit dem Mittelteil des in den
Jahren 1607—1610 gefertigten, vollbezeichneten Betzaltars im Überlinger Münster verbindet (Abb. 2).
Die Gegenüberstellung der Abbildungen entbindet uns der Aufgabe, den Vergleich im einzelnen durch-
zuführen. Wichtiger scheint es, die Frage zu stellen, wieweit die kleine Tafel im Stil mit den beglau-
bigten Werken Zürns übereinstimmt, ob wir das Recht haben, die erwähnte Künstlersignatur als eigen-
händige anzusehen.
Zweierlei Momente sind es, die die künstlerische Wesensart unserer Reliefs bestimmen; einmal
bewundern wir — schon im Hinblick auf die schwereren und geschlossenen Formen des Betzaltars —
Schlankheit und Elastizität der überaus gelenkig und sehnig gebildeten Gestalten, die freiplastisch vor eine
bloß durch Wolken belebte Hintergrundsfläche gesetzt sind. Der prägnant modellierte, völlig entblößte
Oberkörper Christi — ein Hinweis auf das ewige Leben des Leibes, nachdem die Verwesung über-
wunden — hebt sich räumlich ab von dem segelartig geblähten Manteltuch. Auch von dem linken Ober-
schenkel hat der Künstler, dem ein starkes Interesse an der Wiedergabe der Gelenkfunktion eignet, die
deckende Draperie weggezogen, so daß bloß die Hüfte davon umkleidet wird. Der Meister steht hier
offenbar, wie viele seiner Zeitgenossen, unter dem Einfluß einer erneuten Renaissancebewegung, die von
der Neige des 16. Jahrhunderts ab bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts von Nordwesten und
Süden her in mehreren verschieden gerichteten Wellen in deutsches Land eingedrungen ist und sich in
Augsburg und München Stützpunkte geschaffen hat, von denen aus der katholische Süden bedeutungsvolle
hierfür finden sich zahlreich am Ausgang des 15. Jahrh.; ein wesentlich früheres Beispiel bietet ein Münchner Holzschnitt
(Deutscher Einblattholzschnitt des 15. Jahrh. Bd. 30, Nr. 2, »um 1410«).
Es ist als besonderer Ausdruck der Erregtheit aufzufassen, wenn auf dem Breisacher Werk ebenso wie 100 Jahre
später in Zürns Hochaltar die Madonna nicht wie bei den übrigen bisher angeführten Beispielen kniend, sondern stehend,
aufwärts schwebend dargestellt wird, doch fehlt es hierzu nicht an Parallelen unter Zürns unmittelbaren Vorgängern und
Zeitgenossen: so wurde auf dem ehemaligen Hochaltar der Schloßkirche zu Hechingen, dessen Bruchstücke jetzt in der
Kirche und dem Pfarrhause zu Jungingen (Hohenzollern) aufbewahrt werden (s. Mezger, Schriften des Vereins für Ge-
schichte des Bodensees 1921, S. 74, nach Mitteilung von W. P. Laur), die schwebende Madonna (wie in zahlreichen Holz-
schnitten des 15. Jahrh.) von Engeln nach oben getragen, von Gottvater und Christus empfangen und — wie ich trotz der
anderweitig ergänzten Attribute der beiden jetzt getrennt aufgestellten Figuren annehmen möchte — von diesen gekrönt.
Noch im Aufwärtsschweben gekrönt wird die Jungfrau ferner auf Christoph Rodts Altar zu Illertissen (1604, Feucht-
mayr a. a. O., Abb. 1 und 2) und auf dem etwas späteren Altar der Friedhofskapelle zu Meersburg (Phot. Kratt 4961), wo
Trinität und Himmelfahrtsszene durch Glieder- des Rahmenwerks getrennt sind.
1 Viktor Mezger, Überlinger Bildhauer der Renaissancezeit, in Schriften des Vereins für Geschichte des Boden-
sees 1921, S. 78 und Tafel — Otto Homburger in Goldschmidt-Festschrift a. a. O., S. 95, Taf. 12 — Abb., bei Dehio,
Geschichte der deutschen Kunst III, 518b, 318c. — Photographien aus der Kunstwerkstätte Gebr. Mezger, Überlingen. —
Eine Monographie über Jörg Zürn wird vorbereitet von E. Wieluner (Frankfurter Dissertation).

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