Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

DOI Heft:
Buchbesprechungen
DOI Artikel:
Jantzen, Hans: [Rezension von: Lucien Hell, Der Engelspfeiler im Strassburger Münster]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0166

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Buchbesprechungen

der Zyklus dem Entwurf nach ohne Zweifel einem einzigen
Meister. Das wird auch Schmitt ohne weiteres zugeben.
Dieser Entwurf ist bis in die einzelnen Figuren hinein so
weit vorbereitet, so weit bindend, daß nur mit äußerster Vor-
sicht die Entscheidung gewagt werden kann, wieviel einem
Mitarbeiter an individueller Gestaltungsfreiheit bleibt. Wenn
man freilich, wie Schmitt es tut, nur den Unterschied be-
tont, ohne das Gemeinsame ebenso zu analysieren, so scheint
sich das Urteil schnell zu ergeben. Aber so einfach liegen
die Dinge doch nicht. Und ferner: woher sollen wir schon
ein exaktes Kriterium gewinnen für die möglichen Stilwand-
wandlungen, die derjenige Meister durchlaufen hat, der die
Figuren der Ekklesia und Synagoge schuf? Die Stildiffe-
renzen zwischen den Evangelistenfiguren brauchen noch nicht
Differenzen von Individualstilen zu bedeuten, um so weniger
als ja auch Schmitt mit einer zeitlichen Aufeinanderfolge
der Figuren rechnete (S. 13). Und selbst wenn man die
Differenzen auf zwei Hände verteilen will, wird man doch
auf keinen Fall von zwei »gleichberechtigten« Meistern
sprechen können. Die Gemeinsamkeiten im Entwurf und
gewissermaßen in der Anlage der Figuren treten doch zu
deutlich hervor.
Die übliche Interpretation der Evangelisten als erregt
disputierende Gestalten habe ich bereits in meinem Buche
abgelehnt. Schmitt meint, diese Ablehnung sei allzu modern
gedacht. Falls das stimmt, kann ich nur empfehlen, weniger
altmodisch zu interpretieren. Auch im Zyklus des Naum-
burger Westchores wird bei aller Bewegtheit der Figuren
niemand mehr, wie Schmarsow es tat, einen dramatischen
Vorgang erblicken.
Über die Entstehungszeit des Engelspfeilers finden sich
nur bei Hell zwei allgemeinere Bemerkungen (S. 22 und 23).
Er denkt sich den Pfeiler mit Diensten nach 1225 errichtet
und datiert die Baldachine wegen des Ornaments (und folg-
lich auch die Skulpturen) »näher bei der Jahrhundertmitte
als beim ersten Viertel des Jahrhunderts«. Das erwähnte
Laubwerk kommt aber in verwandter Art schon an den
frühesten Teilen der Kathedrale von Reims vor, und der
Stil der Skulpturen erlaubt kaum eine spätere Ansetzung
als 1225. Jantzen.
Ärchives Älsaciennes d'Histolre de l'Art.
QUATRIEME ANNEE 1925 — STRASSBURG - PARIS,
LIBRAIRIE ISTRA.
Der 4. Jahrgang dieser zur Zeit für die Kunstgeschichte
des Elsasses wohl wichtigsten Zeitschrift liegt in Gestalt
eines 311 Seiten starken, reich illustrierten Bandes vor. Daß
diese Zeitschrift gerade für das Oberrheingebiet von beson-
derer Bedeutung ist, braucht ja kaum betont zu werden.
Bilden doch bis zur Wende des 17. Jahrhunderts linkes und
rechtes Rheinufer kulturell und vor allem künstlerisch eine
absolute Einheit, innerhalb deren zu den meisten Zeiten die
führende Rolle dem Vorort des Elsasses, Straßburg, zufiel.
Kunstgeschichte des Elsasses im Mittelalter und der Renais-
sance ist daher Kunstgeschichte des Oberrheingebietes
schlechthin. Es wäre deshalb wünschenswert, ja erforder-

lich, daß die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den
kunstgeschichtlich interessierten Kreisen links und rechts
des Rheines möglichst enge würden. So könnte gemeinsame
Arbeit im Dienste der gleichen Sache zu fruchtbaren Er-
gebnissen führen. Und was wäre zur Förderung dieses
Zweckes geeigneter als gerade Zeitschriften, die beiden
Teilen die Möglichkeit geben, über die neuesten Ergebnisse
ihrer Forschungen zu berichten, zweifelhafte Fragen zu dis-
kutieren, sich in jeder Weise gegenseitig zu fördern und zu
unterstützen ?
Fast in noch stärkerem Maße, als in den früheren Jahr-
gängen beschränkt sich der Inhalt dieses neuesten Bandes
auf rein elsässische Fragen, und deutlich hebt sich hierbei
die oben erwähnte Tatsache ab, indem die Aufsätze, die
sich mit Problemen der Epochen bis ca. 1700 befassen, auch
für die Entwicklung der Kunst auf dem rechten Rheinufer
Bedeutung haben, während die späteren Beiträge fast durch-
weg durch ihre Orientierung nach Westen nur im Rahmen
französischer Kunstbetrachtung von Interesse sind.
Gleich der erste Aufsatz berührt ein Gebiet, das augen-
blicklich im Vordergrund des Interesses steht: Die Buch-
illustration des 12. Jahrhunderts. In ihm gibt Josef Walter
zum ersten Male genauere Kenntnis von dem sog. Guta-
Sintram-Codex des Augustinerklosters Marbach im Elsaß.
Diese heute in der Bibliothek des Priesterseminars in Straß-
burg aufbewahrte, reich illustrierte Handschrift gehört ohne
Zweifel zum Besten, was uns an oberrheinischer Buchkunst
des 12. Jahrhunderts erhalten ist. Davon überzeugen ohne
weiteres die 32 beigegebenen Reproduktionen der wichtigsten
Miniaturen. Im Text beschäftigt sich der Verfasser eingehend
mit dem Inhalt der Handschrift, ohne die Frage ihrer Ent-
stehung und Schulzugehörigkeit zu einer Lösung zu bringen.
Daß sie, trotz gleichzeitiger Entstehung in Kreisen, die dem
Künstler des Hortus deliciarum nahestehen, mit dieser be-
rühmten Handschrift in keinem Zusammenhang gebracht
werden kann, ist augenscheinlich. Eine eingehende Studie
zur Bewaffnungsfrage des 14. Jahrhunderts steuert Ch. Buttin
bei. Ausgehend von dem schonen Grabmal des Ulrich
von Werdt in St. Wilhelm in Straßburg und unter Beiziehung
anderer Grabmonumente werden die Schutzwaffen, wie sie
in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Gebrauch waren,
aufs genaueste rekonstruiert. Weiterhin zeigt G. Schaffner
ein Relief des hl. Martin von der Kirche in Greßweiler,
A. Scherlen die in einen Holzbalken geschnitzte Figur eines
Mannes — wohl Selbstporträt — mit der Signatur des Kol-
marer Bildhauers Adam Keller von 1609. Von großem In-
teresse ist die Studie Th. Ungerers über die Straßburger
Uhrmacherfamilie der Harbrecht, die im 16. und 17. Jahr-
hundert viele süddeutsche Rathäuser und Türme mit den
Erzeugnissen ihrer Werkstatt versorgten. Zur Geschichte
des Kunstgewerbes bringt R. Riff eine Studie über den
Zinnguß in Frankreich und H. Haug interessante Forschungen
über die Manufaktur von Niederwiler. A. Girodie veröffent-
licht das Tagebuch des Schlettstädter Miniaturisten G. A.
Kemann (1784—1816), und R. Rocheblave gibt eine Bio-
graphie des Malers Francois Ehrmann (1833—1910).

154
 
Annotationen