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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Hugelshofer, Walter: Eine verlorene Marienkrönung Schongauers?
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0229

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Notizen: Eine verlorene Marienkrönung Schongauers?

Hier wird der Versuch gemacht, eines dieser verlorenen Bilder, das sich besonderer Beliebtheit
erfreut haben muß, zu rekonstruieren.
Unter den Arbeiten der engern Schongauerschüler, die zum Teil noch unmittelbar mit dem Meister
Zusammenhängen mögen, finden sich mehrere untereinander übereinstimmende Marienkrönungen. Die
bedeutende Komposition kann nicht die Erfindung dieser in selbständigen Arbeiten meist wenig schöpfe-
rische Talente verratenden Meister sein. Alles weist auf einen Großem hin, der hier nur Schongauer
gewesen sein kann. Nicht nur verwenden sie früh schon seine Stiche, sondern sie erweisen sich auch
in der Farbe, in den Gesichtstypen, im Faltenwurf, kurz im ganzen Bild Charakter, als eng vom Kolmarer
Meister abhängig. Nun gibt es aber auffallenderweise keinen übereinstimmenden Stich Schongauers, wie
man zunächst annehmen möchte. Und wie mich Geh. Rat Lehrs freundlich belehrt, ist auch nicht mit
der Möglichkeit zu rechnen, daß ein solcher, der als Vorbild hätte dienen können, verloren ging. Es
bleibt daher keine andere Annahme als die, daß eine gemalte Tafel Schongauers, auf die alle im folgen-
den zu erwähnenden Darstellungen direkt oder mittelbar zurückgehen, vorhanden war, und daß diese
zugrunde ging.
Vorerst muß ein kurzer Exkurs über die Ikonographie der spätgotischen Marienkrönung, wie sie
sich im Verlauf dieser Untersuchung ergab, eingefügt werden.
Für die Krönung Mariä waren drei, eigentlich nur zwei, Anordnungen gebräuchlich. Die an-
scheinend ältere, schon im italienischen und französischen Trecento verbreitete, zeigt die kniende oder
sitzende Maria, vom neben ihr auf gleicher Höhe sitzenden Christus gekrönt. Gottvater und die Taube
fehlen. Diesem Schema folgen z. B. eine Reihe norddeutscher Altäre aus der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts, die Schongauerschen Kupferstiche B. 71 und 72, die entsprechende Tafel des Kolmarer Dominikaner-
Altars (Nr. 50) usw. Das bekannteste Beispiel für diesen Typus ist der St. Wolfganger Altar des Michael
Pacher. Er wird zugunsten einer zweiten, eher befriedigenden Anordnung gegen Ende des Jahrhunderts
aufgegeben. Es ist der den Absichten der neuen Gesinnung mehr entgegenkommende, symmetrische Typus,
den unsere Gruppe zeigt: Auf einem steinernen Thronaufbau sitzen Christus und Gottvater und krönen
die mit gefalteten Händen zwischen ihnen kniende Maria. Die beiden sitzenden Gestalten erscheinen so
in Dreiviertelansicht, Maria in starker Verkürzung en face. Uber dieser Dreiecksgruppe schwebt die
Taube des Heiligen Geistes. Zu beiden Seiten des Thrones musizierende Engel. Diese Anlage läßt sich
ebenfalls schon früh nachweisen (Einblattdruck München 1410, Schnitzaltäre um 1440 in Reval, im
Germanischen Museum in Nürnberg, Wiener-Neustädter Altar von 1447 in St. Stephan zu Wien usw.),
doch kommt sie erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stärker auf, um schließlich den älteren
Typus völlig zu verdrängen. Die bekanntesten Beispiele dafür sind Dürers Heller-Altar, der davon beeinflußte
Freiburger Hochaltar Baldungs und der wiederum davon abhängige Breisacher Hochaltar des H. L.1 Ihre
erste klassische Gestaltung fand diese Komposition in den Niederlanden, in Dirk Bouts’ Wiener Tafel (Abb. 1),
von der eine Reihe niederländischer Miniaturen abhängig sind, so daß es scheint, als ob die Niederlande ihre
Heimat sei. —- Zwischen diesen beiden weitverbreiteten, hauptsächlichen Anordnungen schwankt eine dritte,
bei der Maria kniet, Christus neben ihr sitzt und über beide erhöht Gottvater sich befindet. Als frühes Bei-
spiel dafür sei eine geschnitzte Gruppe aus dem Tirol im Germanischen Museum genannt. Die freieste
1 Zur Weiterentwicklung dieses Motivs vgl. Homburger in Oberrheinische Kunst, Heft 3, S. 156, Anm. 5.
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