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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Hugelshofer, Walter: Eine verlorene Marienkrönung Schongauers?
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0231

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Notizen: Eine verlorene Marien kronung Schongauers?
Der Meister war ein sehr beachtenswerter Künstler von persönlichem Reiz. Die hellen, frohen
Farben und die entzückende Landschaft auf der Außenseite, einer Heimsuchung, die zu den schönsten
ihrer Art zählt, lassen auf einen besonders befähigten Künstler schließen. Er war offenbar das eigen-
artigste Talent der engern Schongauerschule.
Stilverwandt erscheint der Flügel Nr. 81/82 des Kolmarer Museums, wenn mich die Erinnerung
nicht täuscht. Es findet sich dort eine Marienkrönung des nämlichen Typus.
Auf unser supponiertes Vorbild geht auch der rechte Flügel des Wolfskehler Altars in Darmstadt
zurück ’, dessen reizvoller und interessanter Meister sich auch sonst von Schongauer nachhaltig beein-
flußt erweist. Bei ihm sind die musizierenden Engel wieder wie in Zürich zu beiden Seiten des Thrones
angeordnet. Es ist die edelste, wenn auch kühlste Darstellung dieses Kreises.
Weiter weg von Schongauers Darstellung führen zwei unter sich nahverwandte, wohl schon in
den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts entstandene Gemälde aus der Werkstatt des Berner Nelken-
meisters, das eine aus Landeron in Neuenburg2, das andere ehemals im Berner Oberland, heute im
Kloster Engelberg3. Aus der strengen, klargefügten Komposition ist eine lockere, munter bewegte gewor-
den, die eines gewissen naiven Reizes nicht entbehrt. Das Schongauersche Vorbild kannten diese Meister
nur mehr sehr indirekt aus zweiter oder dritter Hand. Die Gesamtanlage ist zwar noch immer dieselbe
geblieben, besonders auf der Tafel in Neuenburg. Aber Gesichtstypen und Gewandbehandlung stehen
Schongauer ferner. Und die fröhlichen musizierenden Putten vollends verraten schon etwas vom kommen-
den Geiste der Renaissance. Auf dem Engelberger Altar sind sogar die beiden göttlichen Personen ver-
tauscht. Die Kronen sind weggefallen. Gottvater als Schöpfer der Welt berührt mit dem Fuß die sym-
bolische Kugel. Seine beiden freigewordenen Hände stützen die Krone. Und Christus ist durch die zur
Rechten angedeutete Wunde als Erlöser der Menschen gekennzeichnet. Der ursprüngliche Sinn der Dar-
stellung hat sich leise verschoben.
Noch weiter weg stünden schließlich Werke wie der Wiler Altar von 1516, Baldungs Freiburger
und des H. L. Altäre zu Breisach und Niederrotweil.
Um zu resümieren: Es gibt eine Gruppe von Marienkrönungen, die alle von direkten und in-
direkten Schongauerschülern stammen, im Elsaß oder in den angrenzenden Landen zu lokalisieren sind
und unter sich nahe verwandt sind. Die bedeutende Komposition weist auf einen großen Meister hin,
der nur Schongauer gewesen sein kann. Da von ihm kein entsprechender Kupferstich bekannt ist, auch
keiner verloren sein kann, wird man zur Annahme geführt, das Urbild aller der aufgezählten Darstellungen
sei ein hervorragendes Gemälde Schongauers gewesen, das direkt von der Boutsschen Fassung dieses Themas
abhängig war.
Es wurde bisher immer betont, daß Schongauer von Roger beeinflußt sei4. Vielleicht wurden
darob die Einwirkungen Bouts’ über seh en.
Wenn man die aufgezeigten Darstellungen unter sich und mit der Tafel des Bouts vergleicht, so
kann man vielleicht sogar einiges darüber sagen, wodurch sich das hypothetische Gemälde von seinem
1 Nr. 11. 2 Ohne Nummer.
3 Statistik Unterwalden (im Erscheinen) S. 180 ff. zu Tafel IV.
4 Vgl. besonders Hans Schneider, Beiträge zur Geschichte des niederländischen Einflusses auf die oberdeutsche
Malerei und Graphik S. 21 ff.

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