Alfred Sohn-Rethel: Schlafendes Kind.
vermeide das Traurige — Du weifst, nicht
aus Leichtsinn, ich schätze die Thränen zur
rechten Zeit, aber ich mag nicht die Wasser-
künste immer spielen sehen, wie in alten
Heulromanen nicht, so auch nicht im Leben.“
Es ist ein sehr grofser Eindruck, in dieser
zerschlissenen Bretterwelt voll Schminke,
Verlogenheit und Unnatur diesen Menschen
scheinbar mitmachen zu sehen und zu beob-
achten, wie das aber nur sein Scheinleben
ist und wie sein eigentliches Leben und
Wesen so gefestigt und geschützt ist, dafs
all die Unwahrheit ihm nichts anhaben kann.
Wahrhaft adlig sieht es in ihm aus; wie
Hebbel in den schlimmsten Elendjahren, hat
er die „heilige Angst um die Ehre“, „die
Verletzung des Innersten des Menschen, der
Seinsbedingung bei allen edlen Naturen, die
greift mir keiner an, noch trete ich sie
selber mit Füfsen“. Und er macht es sich
und dem Freund eindringlich klar, als er
merkt, dafs der auf falschem Boden steht:
„Das wilde hastende Treiben der Bühne ver-
dirbt, macht unwahr. Willst Du Mensch
bleiben, so entsage der Komödie. Wirf über
Bord den Theaterschwulst. Wir sind zu
männlich, um da mitzuthun.“
Mit solchem Beispiel ging Anzengruber
selbst voran, als seine Schauspielerexistenz
zusammenbrach. „Wund und müde wie
ein auf die Knochen zerhauener Fechter“
kommt er von den Irrfahrten nach Wien,
das er dann nicht mehr verliefs, wo ihn die
Mitbürger als Polizeischreiber, Witzblatt-
redakteur und Theaterschriftsteller in klein-
bürgerlichen, nie sorgenfreien Verhältnissen
kannten, ohne zu ahnen, dafs ein wahrhaft
Grofser und Echter unter ihnen weilte.
Der Erfolg kam zwar mit dem Sieg des
„Pfarrers von Kirchfeld“, aber die hohe Stim-
mung, seinem Volk etwas zu schaffen, „sein Kind
und sein Narr“ zu sein und bleiben, verflog bei
der von Jahr zu Jahr zunehmenden charakterlosen
Gleichgültigkeit des Wiener Publikums, das
lieber sich von Tageserfolgsleuten einen „Viertel-
stundenenthusiasmus“ anzündeln liefs, statt sich
der herben Kunst wirklicher Menschendarstellung
hinzugeben, und er, der Wien so liebte, konsta-
tierte : „in Berlin läfst man mir Gerechtigkeit
widerfahren, da bin ich wer“. Gedrückt klingt
die Bilanz seiner äufseren Existenz bis an sein
Ende: „Zu dem Lorbeer fehlt das Lungenbratei.“
Die Jahre gehen so bitter aus, wie sie begonnen;
herzhaft unzufrieden ist er^ selbst mit seiner
Miselsucht, die ihn „zuwider und grantig“ macht.
Familiensorgen, Kindergeburten, Kindersterben,
Krankheit und Unfall mischen sich dazu noch
schadenfroh hinein, und Kritik und Censur sind
eifrig an der Arbeit, ihm den Rest von guter
Laune zu rauben.
Als „Kleinproduzenten“ im Gebiet des Feuille-
tons und der Erzählung empfindet er sich, „was
aber den Dramatiker anlangt“, so ist er ganz
mutlos: „Es geht in das zwölfte Jahr, seit ich
in die Öffentlichkeit getreten bin, und jetzt stehe
ich — in Österreich wenigstens — einer Zeit
gegenüber, welche meinen Bestrebungen keine
Bethätigung zuläfst.“ Dabei liegt er an „drei-
fach gedrehter Arbeitskette“ seiner Broderwerbs-
dienste und mufs ein Witzblatt redigieren, dessen
Nummerfüllung ihm auf seinem Sterbebett noch
Sorge macht: „mir fällt nichts ein, ich bin
ein armes Hunderi“ — damit klingen diese
Briefe aus. * *
*
Die Genrebilder der äufseren Existenz sind
eng und haben, wenn sie auch mit Humor um-
rissen werden, etwas Kläglich-Betrübsames. Weit
aber wird der Blick, wenn man in die innere Existenz
sieht, in die Vorstellungs- und Anschauungswelt,
in die Werkstätte des künstlerischen Schaffens.
Hier giebt es nichts Schiefes, Halbes, Über-
25