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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Klein, Rudolf: Die Deutschnationale Kunstausstellung 1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0461

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Ferdinand Andri, Wien
Butterbäuerinnen
zittern und vibrieren von verhaltener Glut wie
die Seele des Menschen unter dem Bewufstsein.
Aus allen seinen Bildern spricht die Vornehmheit
derer, die das Leben überwunden haben, nicht
mit heifsen Sinnen sein Sklave sind, die Vor-
nehmheit derer, die in purpurnem Gewände
dahinschreiten und Sieger bleiben. Der Künstler
ist eine jener bewufsten Naturen, die nicht
mit der Form spielen, denen aber alles, als
letzte Quintessenz, als Abzug des Realen, als
Form erscheint, nur noch in der Form reizt, die
gewissermafsen mit der Kunst einen mathe-
matischen Gedankensport treiben.
Das kann man von dem Formbedürfnis der
Wiener nicht sagen, es ist anderer Natur, ob-
gleich das Formale stark in den Vordergrund
tritt. Standen die jungen Berliner, wie alle
Naturalisten, dem Kunstgewerbe, sagen wir allen
angewandten Künsten ziemlich fern, so ist die
Kunst der Wiener garnicht ohne einen innigen
Zusammenhang hiermit zu denken. Kunst und
jedwede Dekoration spielen ineinander über.
Das war schon zu Makarts Tagen so und ist
nun besonders hervorgetreten. Dafs Makart im
19. Jahrhundert in der Malerei Wiens ein
ziemlich einsames Phänomen darstellt, hat
sicher manchen Betrachter den Schlufs ziehen
lassen, Wien sei nicht eigentlich die Stadt der
Maler. Von Musik und Theater etwas zu
kennen, verlangt in Wien der gute Ton, die
Malerei führte lange das Dasein eines Stief-
kindes. Nach Makart hat es dort keinen
Maler gegeben, dessen Namen weit hinaus
über die Grenzen seines Landes drang, und
wenn wir noch weiter zurückschauen, wir

werden auch keinen finden. Und das ganze
Wesen Wiens läfst einem dies verständlich
scheinen. Der laute Prunk seiner barocken
Architektur, die Wiener Frauen, der Prater
mit seinen süfse Walzer geigenden Kapellen,
das alles hat mit Malerei wenig zu thun.
Es war bei einem neuen Kunstaufschwung,
wie wir ihn in der Sezession erlebten, ganz
der Boden für jene buntschillernden lyrischen
Reflexionen, die auch die junge Litteratur
Wiens ausmachen. Wie charakteristisch war
es z. B., dafs auf der ersten Ausstellung der
Wiener Sezession der mit 23 Werken ver-
tretene Belgier Fernand Knopff einen Jubel
der Begeisterung erweckte und stark gekauft
wurde. Nicht minder ist sein Einflufs auf
die junge Kunst Wiens. In diesem müden
Decadenten, der mit den mystischen Schau-
ern einer vom Alltag erschreckten anämi-
schen Aristokratenseele kokett und form-
vollendet spielte, erkannte man einen Bluts-
verwandten und schauten die üppigen Oda-
lisken in träger Anmut zu ihm auf wie zu
einem magischen Priester. In seinen sphinx-
haften Frauen sahen sie das Rätsel ihres orien-
talischen Sinnenmysteriums mit kalter Hand ent-
schleiert und erfreuten sich an dem farbigen Decor
unergründlicher Embleme, die die Geheimnisse
von Sein und Vergehen zu versinnbildlichen
schienen wie im berückenden Prunk eines fie-
bernden Traumes. Mit diesen Sympathien konnte
der Erfolg der sich ankündigenden Ver-sacrum-
Epoche als besiegelt gelten. Ja, schärfer Zu-
sehenden scheint dieser auch ebenso selbst-
verständlich wie notwendig. Denn diese neue
Bewegung ist so organisch aus echtem Wiener
Geist hervorgegangen und das natürliche Glied
einer neuen Zeit, so sehr sich die älteren
Künstler auch in Wien ihr widersetzten. Man
schaue da einmal scharf zu und wird auch in
der älteren Wiener Kunst verwandtes Wesen
empfinden. Man schaue die süfsen weichlichen
Allegorien des Eduard Veith! Ist denn von
ihnen hin bis zu Klimt wirklich der Weg so
weit? Und sind die Landschaften des Robert
Russ nicht aus gleichem Geist geworden? Der
Bruch zwischen Altem und Neuem scheint in
der That kein sehr heftiger und bilden infolge-
dessen die Wiener Säle der Alten und Jungen
auch ein sehr harmonisches Ganzes, das nicht
durch grofsen Qualitätsunterschied wie anderswo
zerrissen wird. Es hat dies zum Teil seinen
Grund darin, dafs die Leistungen der jungen
Wiener, als Malereien betrachtet, eben auch
gerade nicht überraschend stark sind und der
Wert der Sezession darin beruht, dafs der
sinnlich dekorative Geschmack in ihr neu be-
lebt wurde. Eine nationale Eigenart ist auch
in der älteren Wiener Kunst stark ausgeprägt,
die sich in erster Linie durch eine äufserliche
Vornehmheit bekundet, wie man sie ähnlich in

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